2. Seminar: "Grenzüberschreitende Immobilienkredite"

Ort: Hochschule für Öffentliche Verwaltung Kehl am Rhein

Datum: 3. bis 4. Februar 2000

Zusammenfassung der Referate und Diskussionsergebnisse

Ein Verbraucher, der aus dem Nachbarland ein Immobilienkreditangebot in Anspruch nehmen möchte, muss feststellen, dass der EU-Binnenmarkt nicht richtig funktioniert. Das war die Bestandsaufnahme, die bei der Tagung "Grenzüberschreitende Immobilienkredite" im Februar 2000 gemacht werden konnte. Die Tagung war die zweite Veranstaltung innerhalb eines Zyklusses von fünf Fortbildungseinheiten, organisiert im Rahmen des EU-Projekts "Finanzdienstleistungen in Europa". Die Fortbildungsveranstaltungen richten sich an Vertreter von Verbraucherorganisationen aus fünf EU-Mitgliedstaaten, an Rechtsanwälte sowie an Vertreter der Finanzwirtschaft.


1) Grenzüberschreitende Immobilienkredite zwischen Deutschland nach Frankreich

Innerhalb des Hypothekarkreditgeschäfts nimmt der deutsch-französische Wirtschaftsraum derzeit eine Vorreiterrolle ein. Vor dem Hintergrund einer dynamischen Dreiländerregion mit über 60.000 Grenzgängern und einer wachsenden Zahl von grenzüberschreitenden Verbrauchergeschäften wagen seit 1993 deutsche Banken und Bausparkassen den Schritt in den französischen Markt. Die deutschen Kreditinstitute beschränkten sich nicht nur mit den angrenzenden Départements Elsaß und Lothringen, sondern strebten zum Teil eine Durchdringung des gesamten französischen Marktes an. Im Binnenmarkt ist ebenso eine umgekehrte Vertriebstätigkeit festzustellen: Französischer Bankinstitute vertreiben nunmehr ihre Produkte in Deutschland. Das attraktive Zinsniveau liegt derzeit für einen Immobilienkredite mit 10-jähriger Laufzeit etwa 1 % unter den deutschen Angeboten. Die Immobilienkredite französischer Façon sehen die Anwendung deutschen Rechts vor, bei gleichzeitiger Beachtung des hohen französischen Verbraucherschutzniveaus.

In den Referaten kristallisierten sich die erheblichen Unterschiede heraus, die zwischen der Finanzkulturen diesseits und jenseits des Rheins bestehen; zum Beispiel an der Frage der vorzeitigen Tilgung: Während der französische Verbraucher bei heimischen Krediten an ein zusätzliches Entgelt von - gesetzlich max. festgelegten - 3 % des Restkapitals gewöhnt ist, wird er bei deutschen Krediten häufig mit einer Vorfälligkeitsentschädigung von ca. 10 bis 12 % der Restkapitalsumme überrascht. Ebenso große Unterschiede zwischen den deutschen und französischen Finanzkulturen bestehen hinsichtlich der Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken und Vermittler, den Bewertungen von Sicherheiten und Refinanzierungstechniken der Bankhäuser sowie anderer Kreditmodalitäten wie zum Beispiel die Vertragslaufzeit oder die Zinsgestaltung (variabel oder fest).

Die referierenden Rechtsanwälte wiesen auf die oft schwierig zu beantwortenden Fragen hin, welches Recht anwendbar ist (Art. 29 Abs. 1 EGBGB) und vor welchem Gericht der Verbraucher seinen Rechtsschutz suchen kann (Art. 13 EuGVÜ). Jeder angerufene Richter neigt dazu, das eigene nationale Recht anzuwenden. Eine französische Verbraucher-organisation berichtete von ihrer 1997 gegen die Commerzbank AG eingeleiteten Gruppen-klage. Für 75 Kläger machte der Verband bei grenzüberschreitend vertriebenen Hypothekendarlehensverträgen Verstöße gegen französisches Verbraucherschutzrecht geltend. Verkauft wurden tilgungsfreie Darlehen verknüpft mit Kapitallebensversicherungen. Über die Rechtsnatur dieser kombinierten Sofortfinanzierungen sind die französischen Verbraucher vielfach nicht aufgeklärt worden. Mit Urteil vom 24.02.1999 wurde nunmehr die Zuständigkeit französischer Gerichte bestätigt (Cour d'appel de Colmar, 1. Zivilkammer, Sektion B). Der Verbraucher, der sich gegen das rechtwidrige Verhalten einer Bank verteidigen möchte, muss also nicht vor ein fremdes Gericht außerhalb seines Heimatstaates ziehen. Mit einem baldigen Ende des Gerichtsverfahren und der über hundert parallel anhängige (Individual)Klagen ist vorerst nicht zu rechnen.

Gegenüber anwesenden Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden forderten Verbraucher- schützer eine effektive präventive Marktaufsicht und eine bessere Zusammenarbeit auf internationaler Ebene; denn die Verbraucherverbände alleine können vor allem gerichtlich die Interessen geschädigter Verbraucher nicht ausreichend vertreten.

2) Unterschiedliche Ansätze für eine angestrebte Harmonisierung

Die Tagungsteilnehmer waren sich darüber einig, dass grenzüberschreitend angebotene Kreditfinanzierungen sowohl den Wettbewerb als auch die Produktvielfalt erhöhen. Ein Vertreter der Europäischen Kommission wies darauf hin, dass es allein in Großbritannien über 4000 verschiedene Immobiliarkredite gibt. Diese Auswahlmöglichkeit käme auch dem Verbraucher für seinen individuellen Finanzierungsbedarf zugute.

Eine Vertreterin der Europäischen Bausparkassenvereinigung wies darauf hin, dass der grenzüberschreitende Marktauftritt für Kreditinstitute in der Praxis nur möglich ist, wenn sie sich komplett an die Bedingungen des Aufnahmestaates anpassen. Es muss immer noch die Erlaubnis der Aufsichtsbehörden des Herkunfts- und des Aufnahmelandes eingeholt werden, ungeachtet des gemeinschaftsrechtlichen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung bzw. des "Europäisches Passes" (s. auch Bericht des Seminars "Geldanlagen in Europa"). Dies wird von Seiten der Kreditwirtschaftsverbände kritisiert. Verbraucheranwälte betonten, dass der Verbraucher sich "geborgen" fühlen möchte in dem Sinne, das er vertragliche Verpflichtungen nur auf dem ihm geläufigen Schutzniveau einzugehen braucht. Immobilienkreditverträge, immerhin eines der größten Geschäfte im Leben eines Verbrauchers, sind immer noch nicht harmonisiert. Die Anwälte forderten daher eine EU-Richtlinie mit einer Minimalharmonisierung im Sinne eines Mindestschutzes für die Verbraucher. Vertreter der Bankenindustrie wendeten ein, dass eine Rechtsharmonisierung für den Binnenmarkt nur dann Sinn macht, wenn der Produktvertrieb im Nachbarland praktikabel ist. Erfahrungen mit dem bereits harmonisierten Verbraucherkredit hätten gezeigt, dass der Binnenmarkt in diesem Bereich trotz EU-Richtlinie nicht funktioniert: Unterschiedliche Berechnungsmethoden des effektiven Jahrezinses führen weiterhin zu Handelshemmnissen zwischen den Mitgliedsstaaten. Daher wurde eine andere Lösungsmöglichkeit diskutiert, die einer Maximalharmonisierung des Hypothekarkreditbereichs. Die Mehrheit der Tagungs-teilnehmer waren sich allerdings einig, dass dieser Harmonisierungsansatz zu einem standardisierten Einheitshypothekarkredit führen würde, dessen Nutzen für den Kreditnehmer zweifelhaft ist.

3) Pilotprojekt "Consumer Dialog"

Das Bedürfnis nach Information und Vergleichsmöglichkeiten der Konsumenten ist sehr hoch. Die Europäischen Kommission und die Verbände wollen daher Produkttransparenz, also eine Vergleichbarkeit der vertraglichen Konditionen. Zur Prüfung einer möglichen Harmonisierung der Rechtsbestimmungen und Produkte finden seit kürzerer Zeit Gespräche zwischen Marktpraktikern, Banken- und Verbraucherverbänden statt. Eine der Gesprächsgegenstände sind die Informations- und Beratungspflichten, die Kreditinstitute vor Vertragsschluss zu beachten haben. Dazu soll ein standardisiertes Merkblatt erarbeitet werden (Single page information sheet) und durch eine freiwillige Selbstverpflichtung zwischen den Verbänden zur verbindlichen Anwendung gelangen. Der Teufel steckt aber im Detail. Die Auswahl der wesentlichen Informationen erweist sich für komplexe Vertragsinhalte als schwierig. Eine Überbeladung mit Information kann sich für den Verbraucher kontra-produktiv auswirken. Es konnte daher im Rahmen des "Consumer Dialog" bislang keinerlei Konsens erzielt werden.

4) Netz von außergerichtlichen Streitschlichtungsstellen

Die Tagungsteilnehmer unterstrichen die Wichtigkeit eines verbesserten Zugangs zum Recht in grenzüberschreitenden Streitfällen mit Kreditinstituten, wie dies auch der Europäische Rat im Oktober 1999 beschlossen hat. Um nach Vertragsschluss dem Verbraucher zu einem effektiven Rechtsschutz zu verhelfen, berichtete der Vertreter der EU-Kommission von Pläne für ein flächendeckendes System von Streitschlichtungsstellen (EEJ-Net). Der Verbraucher sollte zum Beispiel bei einem Rechtsstreit seine Beschwerde außergerichtlich einer zentralen Anlaufstelle (Clearingstelle) in seinem Heimatland vortragen können, die sich dann ihrerseits mit der Clearingstelle des Anbieterstaates in Verbindung setzt. Über diese Kontaktstelle bzw. über die Schlichtungsstelle im Land des Anbieters soll die Streitschlichtung mit der Gegenseite durchgeführt werden. Die Kommission verspricht sich so eine Druckausübung auf den Gewerbetreibenden, ohne dass der Verbraucher durch hohe Reise-, Verwaltungs- bzw. Prozesskosten benachteiligt wird. Es muss allerdings abgewartet werden, ob die Mitglied-staaten die EU-Institutionen bei der Umsetzung dieser Initiative tatkräftig unterstützen werden.

5) Fazit

Derzeit ist eine europarechtliche Regelung des Hypothekarkredits nicht zu erwarten; zu unterschiedlich sind die nationalen rechtskulturellen und finanztechnischen Gegebenheiten. Der Vertreter der Commerzbank AG räumte daher auch ein, dass sich die Bank aus dem transnationalen Hypothekarkreditgeschäft zurückgezogen hat. Eine "Euro-Hypothek" wird es vorerst nicht geben. Trotz erfreulicher Ansätzen des grenzüberschreitenden Vertriebs von Kreditangeboten bleibt die Baufinanzierung im wesentlichen ein lokales Geschäft.


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