Heute ist ein wichtiger Tag für
die Verbraucher, nicht nur bei uns oder in unserem Nachbarland Frankreich;
die Eröffnung der Clearing-Stelle Deutschland im Europäischen
Netz für die außergerichtliche Streitbeilegung hier in
Kehl ist vielmehr ein wichtiges Ereignis für die Verbraucher
in ganz Europa.
I.
Ich habe die Entscheidung für Kehl, die
Entscheidung, dass die im "European Extra-Judicial Network
- EEJ-Net -" so wichtige Clearing-Stelle Deutschland hier in
Kehl sein soll, ganz bewusst getroffen.
Natürlich hat es viele gegeben, die für
Kehl gesprochen haben: Der Oberbürgermeister Dr. Petry, Frau
Drobinski-Weiss, mit der ich seit langem gut zusammen arbeite, die
Abgeordneten des Bundes- und des Landtages.
Sie alle haben Recht, wenn sie darauf hingewiesen
haben,
- dass gerade Kehl eine sehr symbadische
Stadt mit freundlichen Menschen ist, die zudem in einer der schönsten
Regionen Baden-Württembergs liegt, und über beste europäische
Verbindungen und Beziehungen verfügt;
Sie haben alle Recht,
- dass der Trägerverein Euro-Info-Verbraucher
hervorragende Voraussetzungen für diese Clearing-Stelle mitbringt.
In der Tat war die langjährige gute Arbeit
dieses deutsch-französischen Vereins für mich ein entscheidender
Grund, dem Verein auch die wichtige Aufgabe der deutschen Clearing-Stelle
im EEJ-Netzwerk anzuvertrauen.
Der Verein Euro-Info-Verbraucher und die Clearing-Stelle
werden von den verantwortlichen Institutionen getragen, die lokal,
regional und national in unseren beiden Ländern mit Fragen
des Verbraucherschutzes befasst sind:
- von den Städten Kehl und Straßburg,
- von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg
und
- der Chambre de Consommation d'Alsace,
- dem Conseil Général du Bas-Rhin,
- dem Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg,
- dem französischen Wirtschafts- und Finanzministerium
und
- wir im Bundesministerium der Justiz
mit unserer Schwerpunkt-Verantwortung für
Fragen des Verbraucherrechts tragen sie auch.
Unübersehbar und dankenswerterweise mit
im Boot ist auch die EU-Kommission.
Sie hat mit ihrem Anteil von 50
% bei der Anschubfinanzierung der Clearing-Stelle ein klares Signal
gesetzt. EU-Kommissar Byrne, der Verantwortliche für den Verbraucherschutz
in der Kommission, hat beim Startschuss für das Netzwerk im
Oktober 2001 auf den Punkt gebracht, wie wichtig auch ihr ein funktionierendes
EEJ-Netzwerk ist:
"Das Vertrauen der Verbraucher ist entscheidend
für das Funktionieren eines modernen und wettbewerbsfähigen
Binnenmarktes. Und das EEJ-Netzwerk ist ein unerlässliches
Element zur Schaffung dieses Vertrauens."
So ist es, denn was nützt ein Binnenmarkt,
der mit den verlockendsten Angeboten und Preisen winkt und wirbt,
den Verbraucher im Konfliktfall jedoch hilf- und ratlos sozusagen
auf hoher See aussetzt?
Heute wollen immer mehr Verbraucher - und das
ist ja die Idee des europäischen Binnenmarktes und auch der
weltweiten Vereinbarungen - die neuen Möglichkeiten nutzen,
Waren oder Dienstleistungen im Nachbarland oder, über das virtuelle
Surfbrett Internet, in aller Welt zu beschaffen.
In Schweden zum Beispiel nutzt schon heute
jeder Zweite das Internet für Online-Bestellungen - jeder Surfer
gibt dabei im Schnitt jährlich 500 Euro aus.
Bei uns in Deutschland - wir sind bekanntlich
weltweit Spitzenreiter im guten alten Versandhandel - nutzen mittlerweile
30 Millionen Menschen regelmäßig das Internet. In diesem
Jahr werden gut 5 Millionen neue Nutzer hinzukommen.
Der elektronische Handel hat im letzten Jahr
in unserem Land einen Umsatz von rund 20 Milliarden EURO erzielt;
dies ist Platz 1 in Europa.
Diesen verlockenden Angeboten und neuen Chancen
für Wirtschaft und Verbraucher in Europa stehen natürlich
neue Risiken gegenüber:
Die Clearing-Stelle Deutschland hat mir
den typischen Fall von jenem österreichischen Verbraucher erzählt,
der in echte Probleme geraten ist: Er hatte auf einer Messe in München
ein Softwareprogramm kennen gelernt, das ihm so gut gefiel, dass
er es sogleich frohgemut telefonisch bei der französischen
Herstellerfirma bestellte.
Es kommt, wie es in einer solchen Geschichte
kommen musste: Das gelieferte Programm war fehlerhaft. Was tut unser
österreichischer Kunde? Er spricht mit dem Verkäufer,
mit dem er in Deutschland nach wie vor Kontakt hat. Kein Problem,
sagt dieser und kündigt bei Rücksendung der Software Rückgabe
des Geldes an. Doch das Geld kommt nie an. Der Verkäufer weist
nun alle Ansprüche des Österreichers zurück, ist
aber in Deutschland vorsichtshalber nicht mehr erreichbar.
Viele Probleme - kein Vorbild für vertrauenswürdiges
Verhalten im Binnenmarkt.
Jetzt aber kommt die Clearing-Stelle ins Spiel
mit ihren guten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Ihnen ist es
gelungen, ein echtes Happyend in die Wege zu leiten. Nach Rücksprache
mit dem Clearing-Haus in Österreich haben Sie in Frankreich
den Vertragspartner unseres österreichischen Verbrauchers kontaktiert
und der zahlte dann direkt an den Verbraucher.
Nicht einmal die Einschaltung eines Schlichters
war erforderlich. Allen drei Beteiligten war geholfen: Dem österreichischen
Verbraucher, der auch in Zukunft wieder auf dem Binnenmarkt einkaufen
gehen wird; dem französischen Softwarehersteller, dessen Produkt
jetzt nicht mehr in ganz Europa schlecht geredet wird, und uns als
Einwohner des Handelsplatzes Deutschland auch, denn hier ist das
Geschäft schließlich angebahnt worden.
Das ist ein erfreulicher Start, so muss das laufen.
Ich hoffe sehr, dass auch die weiteren 39 Reklamationen,
die seit Januar 2002 schon in der Clearing-Stelle eingegangen sind,
auf ähnlich erfolgreiche Weise gelöst werden können.
Natürlich gibt es auch richtig verzwickte
Fälle, aber genau da muss dann die Clearing-Stelle zu voller
Form auflaufen.
Das kann bei einem Skiunfall erforderlich sein,
bei dem ein Deutscher mit einem holländischen Skifahrer zusammen
stößt, und das in einem Skigebiet in Italien - oder bei
den kniffligen deutsch-französischen Fällen, die der Verein
Euro-Info-Verbraucher schon seit Jahren bestens löst:
Uneingeschränkter Spitzenreiter bei den
französisch-deutschen Reklamationen war 2001 der Gebrauchtwagenkauf,
gefolgt vom Immobilienkredit und der Geldanlage, während umgekehrt
aus Deutschland vor allem Beschwerden zu Bankgebühren, zu Immobilienmietverträgen
und Handwerkerleistungen beim Wohnen, Einrichten und Renovieren
eingegangen sind.
II.
Ich glaube, wir alle haben mittlerweile realisiert,
dass wir in der EU und in vielen Mitgliedstaaten, darunter gerade
auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, auch bei der rechtlichen
Ausgestaltung des Verbraucherschutzes auf gutem Wege sind. Ich komme
darauf zurück.
Wir alle wissen aber auch, dass auch an gut ausgebauten
Wegstrecken Informations- und Notrufsäulen nötig sind:
Das genau sind die Clearing-Stellen. Diese Clearing-Stellen sind
wichtig, um die Verbraucher über ihre Rechte zu informieren;
über die EU-weiten und über die jeweils in den Mitgliedsstaaten
bestehenden Regelungen.
Der Verbraucherschutz bildet einen wichtigen
Schwerpunkt der Politik der EU, dennoch werden die Regelungen in
den Mitgliedstaaten im Einzelnen durchaus unterschiedlich ausbuchstabiert:
In Frankreich in der Tradition des Code Napoleon, der seit 1804
die Grundlage des französischen Zivilrechts bildet, in Großbritannien
unter der Herrschaft des Case Law.
Ein kleines Beispiel dafür bildet das mittlerweile
berühmte Plädoyer von Lord Richter Atkin vor genau 70
Jahren, der die wechselseitigen Sorgfaltspflichten aus dem biblischen
Gleichnis vom barmherzigen Samariter hergeleitet hat. In jenem legendären
Verfahren ging es übrigens um eine klassische Verbraucherschutzfrage:
ein Kunde hatte nach mehreren Schlucken feststellen müssen,
dass sich in seinem Bier eine alte Schnecke befand und fürchtete
zu Recht um seine Gesundheit.
So kann man das auch machen - der europäische
Verbraucher braucht jedoch Informationen, er braucht die europäische
Verbraucherberatung, wie er sie beim Euro-Info-Verbraucher e. V.
und jetzt auch bei der Clearing-Stelle kompetent bekommt:
In der Vergangenheit war die Nachfrage nach Informationen
erheblich größer als die Zahl der Reklamationen: Im Jahre
2000 etwa hatten rund 6000 Bürger konkrete Fragen, während
rund 2400 Verbraucher mit einer Beschwerde kamen.
III.
Mit dem EEJ-Netzwerk fördern
wir ganz bewusst die außergerichtliche Streitbeilegung.
"Schlichten ist besser
als Richten."
Dieser
Satz gilt in sehr vielen Bereichen, das wissen wir längst.
Schlichten sollte - in geeigneter Weise und an den geeigneten Stellen
- als grundlegend wichtiger Grundsatz noch stärker Eingang
in die Rechtskultur finden.
Wir haben das 1999 mit dem Gesetz
zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung
versucht, das den Bundesländern seit dem 1. Januar 2000 die
Möglichkeit gibt, für bestimmte bürgerlich-rechtliche
Streitigkeiten, ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vor die
Zivilgerichte zu stellen.
Einige Bundesländer haben
spezifische Regelungsgesetze erlassen, die unterschiedliche Wege
gehen. Über deren Wirkungen hört man Unterschiedliches;
die Erfahrungen werden in einiger Zeit vorliegen; möglicherweise
muss man nachjustieren, um die Chancen der Schlichtungsverfahren
für viele Fälle des täglichen Lebens wirklich zu
nutzen.
Auch im Gerichtsverfahren selbst
haben wir den Gedanken der Streitschlichtung durch die seit Anfang
Januar dieses Jahres geltende ZPO-Reform fester verankert: Ich begrüße
folglich ganz außerordentlich, dass auch das EEJ-Netzwerk
die außergerichtliche Streitbeilegung schwerpunktmäßig
in den Mittelpunkt stellt: Statt mit seiner Reklamation quer durch
Europa zu den Gerichten zu irren, kann der Verbraucher sich an seine
nationale Clearing-Stelle wenden,
- die ihm bei der Abfassung seiner Beschwerde
hilft,
- das Anliegen an die Clearing-Stelle im Land
des Verkäufers oder direkt an eine dortige außergerichtliche
Streitbeilegungsstelle weiterleitet und den Fortgang und Ausgang
des Verfahrens aufmerksam kontrolliert.
Auch wenn das nicht zwangsläufig
zu dem glücklichen Ende unseres französischen Software-Falles
führen muss, so erhöht die Einschaltung der Clearing-Stelle
doch die Chancen der Beteiligten, der Weg ist richtig und wichtig.
IV.
Informationen und Hilfen - das
bieten die Clearing-Stellen in außerordentlich nützlicher
Weise. Dennoch aber wäre es übertrieben, den Eindruck
stehen zu lassen oder zu verbreiten, der europäische Verbraucher
befinde sich schutz- und hilflos auf hoher See, wenn er grenzüberschreitend
Geschäfte tätigt; sozusagen konfrontiert mit 15 verschiedenen
Rechtsordnungen in der EU und mit Verkäufern, die nicht mehr
greifbar sind oder gar abgeschreckt von den weiten Entfernungen.
Gerade im Europa des gemeinsamen
Binnenmarktes haben wir bereits einen beachtlichen gemeinsamen Standard
im Verbraucherschutz erreicht:
Das liegt nicht allein an den nationalen
Rechtsordnungen, aber auch hier müssen sich zum Beispiel weder
Frankreich noch Deutschland verstecken. Wir in Deutschland haben
z. B. jetzt gerade wieder die Rechte des Verbrauchers bei der großen
Schuldrechtsmodernisierung gestärkt: Jetzt müssen sich
Verkäufer zum Beispiel an ihrer Produktwerbung messen und festhalten
lassen, die Garantiezeiten sind verstärkt und verlängert
worden und wesentliche Verbraucherschutzgesetze, wie etwa das Haustürwiderrufsgesetz
oder das Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen,
sind gut lesbar im Bürgerlichen Gesetzbuch integriert.
In der EU haben wir namentlich
seit der Umsetzung der Fernabsatzrichtlinie ein europaweit harmonisiertes
Mindestniveau an Verbraucherschutz
- beim sogenannten Distanzvertrieb von Waren
und Dienstleistungen,
- bei den Informationspflichten des Verkäufers
und
- beim Widerrufsrecht des Käufers auch
und gerade im elektronischen Geschäftsverkehr.
Diesen Trend setzt die E-Commerce-Richtlinie
fort, die wir Ende letzten Jahres umgesetzt haben: Zum Schutz der
Nutzer von Telediensten gibt es allgemeine Transparenzpflichten
und besondere Informationspflichten, die sämtliche Formen der
Werbung, des Direktmarketings, des Sponsorings, der Verkaufsförderung
und der Öffentlichkeitsarbeit einschließen. Der Anbieter
muss vor allem für den Verbraucher gut erreichbar sein, sowie
klar und umfassend über sich informieren. Zur Förderung
der Durchsetzung dieser Pflichten enthält unser Gesetz eine
Bußgeldvorschrift, die sicherstellt, dass die Informationen
von dem Diensteanbieter richtig und vollständig verfügbar
gehalten werden.
Das ist gut und wichtig.
Denn das Vertrauen der Verbraucher
ist unabdingbare Voraussetzung für die Akzeptanz der neuen
Informations- und Kommunikationstechniken und die volle Entfaltung
ihres wirtschaftlichen Nutzens, mit allen Innovations-, Wachstums-
und Beschäftigungschancen.
Der Verbraucherschutz in der Informationsgesellschaft
ist uns so wichtig, dass wir in der Richtlinie und dementsprechend
im Gesetz die bewährten Grundsätze des Verbraucherrechts
von der Geltung des Herkunftslandprinzips ausgenommen haben.
Der Internetanbieter aus Straßburg
z.B. kann sich danach gemäß dem Herkunftslandprinzip
zwar grundsätzlich darauf verlassen, dass seine Leistung nach
französischem Recht beurteilt wird, auch wenn sein Kunde in
Kehl sitzt. Es gelten aber trotzdem die deutschen Vorschriften in
Bezug auf Verbraucherverträge.
Damit können sich die Verbraucher
im E-Commerce darauf verlassen, auch dann den gewohnten Schutz zu
genießen, wenn sie Teledienste aus anderen EU-Staaten in Anspruch
nehmen.
Auch die Überweisungsrichtlinie,
die Zahlungsverzugsrichtlinie und natürlich die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie
haben den Verbraucherschutz in Europa gestärkt.
Aber es gab auch viele Ungereimtheiten:
Noch vor wenigen Monaten hätte ich nicht gewusst, wie ich einem
Verbraucher hätte erklären sollen, dass er - wenn er einen
Fernseher in Frankfurt kauft - nur eine Gewährleistungsfrist
von 6 Monaten hat, wenn er dagegen denselben Fernseher in Amsterdam
kauft, sich für seine Mängelansprüche 3 Jahre Zeit
lassen kann. Seit dem 1. Januar 2002 ist auch bei uns mit der Inkraftsetzung
der Schuldrechtsmodernisierung dieses Problem gelöst, ist auch
die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie umgesetzt.
Die Richtlinie war im Mai 1999
unter deutscher Präsidentschaft zur Schaffung eines vereinheitlichten
Kaufrechts in Europa beschlossen worden. Jetzt haben wir - nach
dem Ende der Umsetzungszeit - in dem für den Verbraucher zentral
wichtigen Bereich des Kaufrechts in Europa die selben Rahmenbedingungen.
Wo auch immer der Käufer also jetzt seinen Pkw kauft, kann
er sicher sein, dass er überall die selben Mängelansprüche
hat und dass diese frühestens in zwei Jahren nach Lieferung
des Pkws verjähren.
Es macht auch keinen Unterschied
mehr, ob ein französischer oder ein deutscher Hersteller Werbeaussagen
zu einem bestimmten Pkw-Modell trifft: Sichergestellt ist für
den Verbraucher in jedem Fall, dass er auch den Händler für
solche Aussagen haftbar machen kann, und zwar unabhängig davon,
ob er seinen Pkw in Frankreich, Holland oder Deutschland kauft.
Die Anstrengungen bei der Erarbeitung der hervorragenden Regelungen
der Schuldrechtsmodernisierung und die bei ihrer politischen Durchsetzung
haben sich gelohnt. Schon zwei Monate nach ihrem Inkrafttreten sind
die neuen Vorschriften des Schuldrechts fast zum Alltag geworden.
Der deutsche Einzelhandel hat bereits
im Weihnachtsgeschäft, also bevor die verbraucherfreundlichen
neuen Gewährleistungsfristen in Kraft waren, damit Werbung
gemacht: "Wir geben schon jetzt Garantie nach neuem Recht"
hieß es in Anzeigen, im Fernsehen, im Internet.
Da wollten auch die Juristen aller
Beratungsberufe nicht zurückstehen: Geräuschlos und unaufgeregt
haben sie das neue Recht umgesetzt und in die Vertragspraxis eingearbeitet.
Gerichte, Anwälte und Justitiare in den Unternehmen haben das
mit gewohnter Professionalität in Angriff genommen und sind
zu einem ganz großen Teil schon so weit eingearbeitet, dass
man gar nicht merkt, dass das neue Recht erst seit gut 2 Monaten
gilt. Die Strukturen des neuen Rechts und die eingetretenen Vereinfachungen
werden immer selbstverständlicher.
Ich denke, wir alle sind uns auch
bewusst, dass gemeinsame verbraucherrelevante Standards nicht nur
im europäischen Rechtsraum und auch nicht nur im Kaufrecht
bestehen und wichtig sind.
Wir haben ja die nötige Umsetzung
der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und der anderen europarechtlichen
Regelungen zum Anlass genommen, das Schuldrecht als Ganzes zu reformieren
und dabei die internationalen Standards, wie z. B. das UN-Kaufrecht,
oder auch die von Expertengruppen, wie etwa der Lando-Kommission,
ausgearbeiteten "European Principles" einbezogen.
Übrigens ist dieses moderne
verbraucherfreundliche Schuld- oder Vertragsrecht in Deutschland
jetzt schon wieder zum Exportschlager geworden: Transformationsstaaten
bis hin zur Mongolei haben es schon jetzt für sich übernommen
- oder sind gerade dabei. Und die deutschen Regelungen sind zusätzlich
eine gute Grund- und Diskussionsvorlage für ein europäisches
Zivilgesetzbuch, das - zumindest mit dem Teil des Vertragsrechts
- spätestens seit dem Europäischen Rat von Tampere im
Jahre 1999 auf der politischen Tagesordnung der EU steht.
Es wird sicherlich noch etliche
Jahre dauern - aber die EU-Kommission hat vor wenigen Monaten wenigstens
damit angefangen, die Mitgliedstaaten nach ihren Auffassungen zu
Wegen und Chancen für das "Projekt" eines europäischen
Vertragsrechts zu befragen. Die Antworten aus den Mitgliedsstaaten
waren - wer hätte es anders erwartet - sehr unterschiedlich.
Aber irgendwann wird der Weg dorthin
gangbar sein - und wir können mit unseren verbraucherfreundlichen,
europakompatiblen und modernen Regelungen an vorderster Stelle in
diesen Diskussionen mithalten.
V.
Lassen Sie uns aber nicht zu bescheiden
sein: Wir wollen auch in weiteren Bereichen über den Schutz
der Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa reden und diesen
Schutz ausbauen. Wir alle sind Verbraucher, gleich ob wir daneben
Unternehmer, Arbeitnehmer oder Freiberufler sind.
Es geht um unsere Interessen gerade
auch im Bereich des Wettbewerbsrechts. Im letzten Jahr haben wir
ja mit Blick auf Europa das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung
abgeschafft. Das hat uns viel Zustimmung und Unterstützung
eingebracht - allerdings sind auch Zweifel lautgeworden, weil ja
immer wieder neue Problemfälle auftauchen.
Die Wirtschaft lässt sich
immer wieder Neues einfallen, um auf sich und ihre Produkte aufmerksam
zu machen. Dagegen spricht an sich nichts, solange Informationen
im Vordergrund stehen und die Grenzen zwischen zulässigen Werbeaktionen
und dem Missbrauch herausgehobener Marktpositionen eingehalten werden.Das
- und darüber haben alle Medien breit berichtet - war gerade
in den letzten Monaten nicht immer der Fall.
Und jetzt rufen einige noch lauter
nach der Abschaffung des Wettbewerbsrechts, möglichst des gesamten
Wettbewerbsrechts.Das halte ich für falsch - auch in diesem
Bereich sollten wir jedoch genau nachschauen, was wir wollen und
wo alte Zöpfe abgeschnitten werden können.
Ich will zum Beispiel nicht, dass
die großen Ketten ihre kleinere Konkurrenz durch Preisdrückerei
weiter vom Markt vertreiben. Das schadet unserer mittelständischen
Struktur - und auch den Interessen der Verbraucher.
Ich habe deshalb schon im letzten
Jahr - im Zusammenhang mit der Streichung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung
- eine Gruppe von Expertinnen und Experten aus den verschiedenen
Bereichen eingeladen, natürlich auch die Vertreter der Verbraucherschutzorganisationen,
uns bei der Reform des Lauterkeitsrechts zu beraten.
Die Reform des Rechts des lauteren
Wettbewerbs soll - eigentlich unnötig zu betonen - nicht nur
ein deutsches, sondern ein europäisch orientiertes und abgestimmtes
Projekt sein. Auch in der EU sollten wir das Wettbewerbsrecht möglichst
in allen wichtigen Punkten harmonisieren. In diesem Punkte neige
ich der Auffassung des für den Verbraucherschutz zuständigen
Kommissars der EU zu. Allerdings gibt es wohl innerhalb der EU-Kommission
noch unterschiedliche Überlegungen und Konzepte.
Ich kann nur abraten, den lauteren
Wettbewerb nur bei der Verkaufsförderung im grenzüberschreitenden
Waren- und Dienstleistungsverkehr in den Blick zu nehmen. Wer diesen
"Baustein" allein herausbricht, fördert zumindest
die Rechtszersplitterung. Und schiebt die EU-Verbraucherinteressen
unangemessen weit nach hinten.
VI.
Der Platz der Verbraucherinnen
und Verbraucher im gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts, soll gesichert und komfortabel sein. Das müssen
wir erreichen. Das können wir auch erreichen. Das EEJ-Netzwerk
hilft dabei in vielfältiger Weise. Gerade auch hier in der
deutschen nationalen Clearing-Stelle wird den engagierten und fachkundigen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Arbeit nicht ausgehen:
Es gibt gerade in unseren beiden
Ländern Frankreich und Deutschland liebevolle Spötter,
die gern und immer wieder darauf hinweisen, dass vor allem auch
die Lust am Rechtsstreit zu unseren Rechtstraditionen gehöre.
In Deutschland hat Tucholsky, auch ein Doktor der Rechte, bekanntlich
über seine Landsleute gespottet:
"Wenn ein Deutscher auf dem
Trottoir ausrutscht, steht er nicht auf, sondern schaut sich um,
wer ihm schadensersatzpflichtig ist".
Und bei unseren französischen
Freunden erzählt man sich die hübsche Geschichte von jenem
Advokaten, der sich mit folgenden Worten an seinen Sohn und Nachfolger
gewandt haben soll:
"Mein Lieber, den Nachbarstreit
zwischen den törichten Familien Rochard und Dupont habe ich
von meinem Vater geerbt und überlasse ihn jetzt Dir zu treuen
Händen. Hüte ihn gut."
Das, so wollen wir festhalten,
muss nicht sein. Ansonsten aber wünsche ich der Clearing-Stelle
alles Gute.
Glückauf!
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