Eröffnung der Clearingstelle Deutschland in Kehl, 8. März 2002

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Meine Damen und Herren,


ich freue mich, zur Eröffnung der deutschen Clearingstelle des Europäischen Netzes für die außergerichtliche Streitbeilegung (englische Bezeichnung: European Extra-Judicial Network, Kurzform: EEJ-Net) heute hier anwesend sein zu dürfen.

Die Wahl des Standorts für diese Clearingstelle erscheint mir durchaus plausibel, da diese Region auf eine Jahrhunderte alte Tradition grenzübergreifenden Handelsaustauschs zurückblicken kann.

Vor rund zehn Jahren sind wir hier schon einmal zusammengekommen um die Euro-Info-Beratungstelle aus der Taufe zu heben; damals im Rahmen des Europäischen Pilotprojektes der sogenannten Euroguichets, dem die Beratungsstelle Kehl einige Jahre lang angehörte.

Seit damals hat der Europäische Binnenmarkt erstaunliche Fortschritte gemacht und den Verbrauchern immer mehr Möglichkeiten zum grenzübergreifenden Einkaufen eröffnet. Mit der Euro-Bargeld-Einführung ist es nun für die Verbraucher noch einfacher geworden, Preise zu vergleichen. Im Zuge des E-Commerce und anderer Formen des Fernabsatzes verschwinden schrittweise geografische Hürden. Die Verbraucher können von günstigeren Preisen und breiterer Angebotsvielfalt profitieren.

Der Verbraucher muss freilich sicher sein können, dass er - sollte etwas schief gehen - zu seinem Recht kommen kann.

Das Netzwerk der Europäischen Verbraucherzentren (euroguichets) und Beratungsstellen wie Kehl haben schon bisher die Verbraucher bei der Lösung grenzüberschreitender Probleme unterstützt. Allerdings sind die Möglichkeiten dieser Einrichtungen auf Rechtsberatung und Unterstützung im Rahmen der gütlichen Einigung beschränkt.

Aber nicht immer kann die Sache gütlich gelöst werden. Der Gang vors Gericht ist nicht immer praktisch oder kosteneffizient. Und bei grenzübergreifenden Rechtsstreitigkeiten den Rechtsweg zu beschreiten, ist für die allermeisten Verbraucher erst recht beschwerlich. Angesichts von Sprachenproblemen, unterschiedlichen Rechtsvorschriften und unterschiedlichen Verfahren ist das nicht verwunderlich.

Damit aber die Verbraucher mit der nötigen Rechtssicherheit ihre Einkäufe außerhalb ihres Wohnlandes tätigen können, brauchen sie Mechanismen die einfach erreichbar, kostengünstig und wirkungsvoll sind.

Auf den nationalen Ebenen gibt es ja bereits eine breite Palette sogenannter alternativer Streitbeilegungsmechanismen. Auch wenn diese sich vom Ablauf her geringfügig unterscheiden, verfolgen sie doch alle den gleichen Zweck: Sie möchten dem Verbraucher eine Möglichkeit in die Hand geben, einen Rechtsstreit mit Hilfe einer unabhängigen dritten "Instanz" rasch, kostengünstig und wirkungsvoll beizulegen.

Diese Möglichkeit eröffnet jetzt EEJ-Net allen Verbrauchern, wo immer sie auch in Europa ansässig sind und wo immer ihr Problem liegt. Das neue Netzwerk nationaler Clearingstellen soll dazu beitragen, in der Praxis jene Hindernisse abzubauen, die sich dem Verbraucher in den Weg stellen, wenn er auf ein System zur außergerichtlichen Streitbeilegung außerhalb seines Wohnlandes zurückgreifen möchte.
Es sind in aller Regel mangelnde Kenntnis der ausländischen Systeme und Verfahren, Sprachbarrieren und geografische Hemmnisse, die es dem Verbraucher schwer machen, in erster Instanz bei Gericht zu klagen.

Wie Ihnen bekannt ist, hat für EEJ-Net die einjährige Pilotphase am 16. Oktober 2001 begonnen. Beteiligt sind außer den EU-Mitgliedstaaten auch Norwegen und Island.

Fester Bestandteil der Pilotphase ist eine Art "Revisionsmechanismus", der Korrekturen ermöglicht, so dass das System hinreichend flexibel ist. Damit kann es kontinuierlich weiterentwickelt und ausgebaut werden und verbessert werden. Dazu muss jeder Beteiligte seinen Beitrag leisten.

Mit der Pilotphase soll sichergestellt werden, dass das Netz im Zusammenspiel mit den Einrichtungen, denen die Schlichtung obliegt, effizient funktioniert und der Service für die, die das System in Anspruch nehmen, stimmt.
EEJ-Net wird ergänzt durch ein entsprechendes Pendant für Finanzdienstleistungen mit dem Namen "FIN-NET" (Financial Service Complaint Network, soviel wie: Netz zur Behandlung von Beschwerden über Finanzdienstleistungen), das bereits EU-weit funktioniert.
Auch die Zusammenarbeit bzw. die Abgrenzungen zwischen dem euroguichet-Netzwerk und dem EEJ-Net muss sich entwickeln. Neun Mitgliedsstaaten haben den eurogichet als EEJ-Net Clearingstellen bestimmt (AT, BE, FR,IT,IRL, Lux, PT, SV, UK=NACAB) in den anderen Mitgliedsstaaten ist oder wird die Clearingstelle bei einer anderen Institution angesiedelt.
In Deutschland betreibt die Europäische Kommission zusammen mit den Verbraucherzentralen Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Hostein zwei Euroguichets in Duesseldorf/Gronau und in Kiel. Euro-Info Kehl hat lange Erfahrung in der Zusammenarbeit damit und wir sind sicher, dass die drei Stellen sehr gut harmonieren werden und sich die Arbeit gut aufteilen.

Jedenfalls kann die deutsche Clearingstelle auf die Expertise der euroguichets zählen. Diese werden auch in der Zukunft die Verbraucher über ihre Rechte informieren und gegebenenfalls versuchen, eine gütliche Einigung mit dem betreffenden Unternehmer herbeizuführen. Wo das nicht funktioniert werden sie die Clearingstelle einschalten.


Mit der Zeit und anhand der aus der täglichen Praxis gewonnenen Erfahrungen wird EEJ-Net zu einer erfolgreich funktionierenden realen Errungenschaft werden. Genau deshalb wurde die genannte Revisionsmöglichkeit auch in die laufende Systementwicklung eingebaut. Gestärkt wird die Pilotphase durch ein "gerüttelt Maß" an guten Absichten und ernsthaften Bemühungen. Ausserdem beteiligt sich die Kommission zu 50% an den Anlaufkosten.

In der Pilotphase wird sich das Netz zunächst auf jene Systeme der alternativen Schlichtung (Streitbeilegung) beschränken, die der Kommission gemäß ihrer Empfehlung aus dem Jahr 1998 gemeldet wurden; allerdings soll im Laufe der permanenten Revision geprüft werden, wie sich das Netz am besten erweitern lässt.


Dabei soll speziell nach Möglichkeiten gesucht werden, weniger formalisierte Streitbeilegungs-verfahren, wie etwa die Mediation in das EEJ-Net miteinzubeziehen - sofern sie den Grundsätzen gemäß der Empfehlung der Kommission aus dem Jahr 2001 über die einvernehmliche Streitbeilegung entsprechen. Diese zuletzt genannten Verfahren fallen bislang nicht unter die Empfehlung von 1998.

In den kommenden Jahren wird die Kommission weiterhin in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und den zuständigen Stellen darauf hinwirken, dass optimale Lösungen und Arbeitsverfahren zustande kommen. Geplant sind deshalb für die Dauer der Pilotphase regelmäßige Treffen mit den Clearingstellen, auf denen dann die Erfahrungen und erzielten Fortschritte besprochen werden.


Darüber hinaus ist eine "Gemeinsame Absichtserklärung" vereinbart worden. Dieses sogenannte Memorandum of Understanding enthält eine Art "Fahrplan", mit dem gewährleistet werden soll, dass die beteiligten Clearingstellen mit der gebotenen Konsistenz und in enger Abstimmung untereinander vorgehen.

Parallel dazu hat die Kommission damit begonnen, gemeinsam mit den Clearingstellen die erforderliche technische Unterstützungs-Infrastruktur aufzubauen. Diese enthält entsprechende Internet-Tools, um den Clearingstellen die Arbeit zu erleichtern und die Kooperation innerhalb des Netzwerkes zu vereinfachen.

Zum Abschluss der Pilotphase wird die Kommission einen entsprechenden Bericht erstellen. Außerdem hoffen wir, dann eine in größerem Rahmen angelegte Konferenz mit den außergerichtlichen Einrichtungen einberufen zu können, um umfassendes Feedback darüber zu gewinnen, wie EEJ-Net in der Praxis funktioniert.


Dem Euro-Info Verbraucher wünsche ich in seiner Funktion als deutsche Clearingstelle für EEJ-Net alles Gute.

Jean-Marie Courtois