Dr. Matthias Heger, Bundesministerium der Justiz, Berlin

Mediations-, Schlichtungs- und Schiedsverfahren in Deutschland


I. Vermerk:

Zu dem o.g. Thema ist auf dem von der Clearingstelle Deutschland veranstalteten Seminar im Europäischen Parlament in Straßburg ein Referat zu halten. Dies ist - nicht zuletzt im Hinblick auf die Simultan-Dolmetschung - auch schriftlich vorzulegen. Dem dient das in der Anlage wiedergegebene Referat.

II. Zum Vorgang „Seminar in Straßburg am 5. Dezember 2003“

„Ich freue mich sehr, dass ich hier auf diesem Seminar der Clearingstelle Deutschland im Europäischen Parlament in Straßburg zu Ihnen sprechen kann. Welcher Ort könnte geeigneter sein, über Perspektiven der außergerichtlichen Streitbeilegung, die immer nur europäische sein können, zu sprechen, als hier in Straßburg, hier im Europäischen Parlament?

Sie haben heute Morgen schon aus der Sicht der Kommission sowie von verschiedenen Staaten gehört, wie außergerichtliche Streitbeilegung in diesen Staaten sich etabliert. Auch zu den Schieds- und Schlichtungsstellen in Deutschland wurde Ihnen gerade zuletzt die Praxis geschildert. Lassen Sie mich nun ein paar Worte zur „Kultur“ der außergerichtlichen Streitbeilegung in Deutschland im allgemeinen an Sie richten.

Bei der Vorbereitung bin ich auf ein Werk über Mediation in Europa gestoßen, aus dem ich hier - zur Mediation in Deutschland - zitieren möchte: „Zahlreiche Mediatoren ... stützen ihre Überlegungen zur Mediation auf ihr Engagement in der Friedensbewegung, die die soziale Bewegung in Deutschland zu Beginn der 80er Jahre prägte. ... Das Engagement für den Frieden im sozialen Leben wird ... als eine wesentliche ethische Verpflichtung angesehen.“
In Deutschland wird das Aufkommen der Mediation also als Ausfluss der Friedensbewegung gesehen und dies vor dem Hintergrund des unseligen Dritten Reiches. Ich bin nicht ganz sicher, ob dieser Zusammenhang wirklich beweisbar ist oder ob es sich nicht um zwei parallele Entwicklungen handelt, wie auch die des Rückganges der Störche im Elsass und parallel dazu den Geburtenrückgang. - Aber ernster:
Bedeutet Streitbeilegung durch Mediation wirklich Frieden und Streitbeilegung vor Gericht wirklich Krieg?

Eine weitere Analogie, die oft gemacht wird, möchte ich hier in Frage stellen: Es handelt sich um die Analogie zum angelsächsischen Recht. Wie gerne wird hier Lord Woolf zitiert: “going to court is the last resort, not the first resort“. Gerne wird auch der angelsächsische Richter im deutschen Raum verklärt aufgrund seiner herausgehobenen Stellung.
Gerne wird hierbei unterschlagen, dass nirgends so hart gefochten wird wie vor Gerichten etwa in den USA und dass die Erfolgsgeschichte der Mediation dort wohl auch eine reine Kostenfrage ist, weil die Gerichtsverfahren im Verhältnis zur Rechtslage in Deutschland ungleich teurer sind.
Gerade zum angelsächsische Recht sind daher Analogien nur mit größter Vorsicht anzustellen. Denn es fehlt die gesamte Gerichtsstruktur wie wir sie etwa in England mit dem Oberhaus an der Spitze kennen. Auch die ausgeprägte englische Schlichtungskultur lässt sich daher auf Deutschland nur bedingt übertragen. Dies muss jedoch noch nicht heißen, dass „Schlichten ist besser als Richten“ falsch sei.

Der Befund in Deutschland lautet schlicht, dass die Ressource „Rechtsprechung“ immer knapper wird. Eine Vermehrung der Richterstellen ist aufgrund der Haushaltslage bei den Ländern und beim Bund nicht möglich. Eine stärkere Aufteilung der Aufgaben zwischen Gericht und außergerichtlicher Streitschlichtung ist daher eine schiere Notwendigkeit.
Klassisch geschieht dies dabei im Verhältnis zur Schiedsgerichtsbarkeit. Die Mediation ist im Vergleich dazu noch geradezu im Kindesalter. Wenn ich diese Begriffe dabei verwende, so verstehe ich unter Schiedsgerichtsbarkeit immer die autoritative Entscheidung eines Rechtsstreits durch ein Gericht, das nur eben kein staatliches Gericht ist. Diese Strukturen haben sich bereits seit mehreren Jahrhunderten in der Praxis bewährt und bewähren sich im kaufmännischen Bereich auch heute noch, wie Ihnen gerade zuletzt aus der Praxis berichtet wurde.

Dies führt gleich zu der nächsten Beobachtung, dass es keineswegs nur die staatlichen Gerichte sind, die durch Mediation und Schlichtung entlastet werden. Dies mag im Bereich der Familienmediation so sein. Im Bereich der wirtschaftlichen Mediation wird man aber schon genauer hinschauen müssen, wer hier eigentlich entlastet und wer begünstigt wird. Ich habe jetzt nicht die genausten Statistiken hier präsent; aber es war in Deutschland immer schon ein weit überwiegender Teil aller Streitigkeiten zwischen vollkaufmännischen Parteien, wohl gegen 90 %, der nicht vor staatlichen Gerichten sondern vor Schiedsgerichten entschieden wurde. Wenn diese nun vermehrt von der Schlichtung durch Rechtsanwälte in Anspruch genommen werden, so bedeutet dies noch lange keine Entlastung staatlicher Gerichte. In der Argumentation wird man hier also etwas stärker differenzieren müssen, wer hier wen in welchem Bereich entlastet und entlasten kann.

Als Vertreter des Ministeriums steht es mir natürlich noch mehr an, darüber nachzudenken, was der Staat weiterhin tun kann und soll. In jedem Fall sollte er einen Rahmen für die außergerichtliche Streitschlichtung setzen und sanften Nachdruck auch für deren Gebrauch ausüben, diese mithin unterstützen.
Ich denke aber, dass hier auch schon viel geschehen ist. So ist mit § 15a EGZPO bereits für Streitschlichtungen bei Nachbarschaftsstreitigkeiten, bei Ehrverletzungen sowie bei Streitigkeiten überhaupt bis 750 € ein Rahmen gesetzt. Die Einzelheiten legen dabei die deutschen Länder fest.
Daneben gibt es verschiedene Regelungen über die außergerichtliche Streitbeilegung im Familienverfahren. Unterstützung lässt das Bundesministerium der Justiz der außergerichtlichen Streitbeilegung nicht zuletzt auch durch die Unterstützung gerade der Clearingstelle Deutschland bei ihrer wichtigen Arbeit zukommen.

Auch die Leitung des Ministeriums sieht in der Förderung und Ausweitung der außergerichtlichen Streitbeilegung weiterhin eine zentrale Aufgabe der Rechtspolitik in Deutschland. Anders als in der bereits durch die Jahrhunderte geformten Schiedsgerichtsbarkeit scheint es mir hier jedoch nötig, der außergerichtlichen Streitbeilegung auch einen hinreichenden Freiraum für ihre Entwicklung zu gewährleisten. Dies hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu der geplanten EU- Regelung auf diesem Gebiet deutlich gemacht. So sehr gemeinschaftsrechtliche Vorgaben auf diesem Gebiet nützlich und vielleicht auch notwendig sein können, so sehr ist es unabdingbar, der noch jungen und zur Zeit sehr dynamischen Entwicklung den ausreichenden Freiraum zu lassen. Dies gilt in gleicher Weise wohl auch für den nationalen Gesetzgeber.

Wenn ich nochmals auf das etwas unglückliche Zitat vom Anfang zurückkommen darf, wonach Mediation als Frieden und Streitentscheidung vor Gericht als Krieg sich darstellt, so ergibt sich nach diesem kurzen Überblick wohl doch, dass es hier eben nicht um eine Frage von Krieg und Frieden gehen kann. Es geht wohl vielmehr darum, dass zwischen der Streitentscheidung durch Gericht und der außergerichtlichen Streitbeilegung in den nächsten Jahren die Anteile neu und vor allem sachgerecht austariert werden müssen. Auch ohne dass man Vorbilder aus Großbritannien unbesehen übernimmt, ist eines doch klar: Der Raum für außergerichtliche Streitbeilegung muss wachsen, er wird auch wachsen. Das Bundesministerium der Justiz wird auch weiterhin alles dafür tun, dass dies so geschieht!


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“