Dr. Jürgen Möllering, Leiter der Rechtsabteilung beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag DIHK

Außergerichtliche Streitbeilegung im Bereich des Handels

04/12/2003

« Sehr geehrte Damen und Herren,

der Kunde ist das wertvollste, was ein Unternehmen besitzt. Wenn man einen Kunden verloren hat, kostet es viel Anstrengung und damit Geld, ihn wiederzugewinnen. Denn der Kunde hat heute in den allermeisten Fällen - und glücklicherweise - die Wahl. Es leuchtet daher ein, dass die meisten Unternehmen sich Mühe geben, ihre Kunden erst gar nicht zu verlieren. Aus diesem Grunde ist das, worüber ich heute spreche, eigentlich ein Un-Thema. Tatsächlich ist der Anteil der Kundenbeschwerden aus dem Bereich des Handels, der überhaupt in das Stadium institutionalisierter Streitbeilegung gelangt, denkbar gering. Das betrifft B2B und B2C gleichermaßen.

Nichtsdestotrotz: Es gibt solche Fälle. In Deutschland ist es seit jeher eine Aufgabe für die Industrie- und Handelskammern, ein Instrumentarium zur Beilegung solcher Streitigkeiten anzubieten, wenn sie nicht im Vorfeld zwischen den Partnern selbst erledigt werden können. Die allgemeinste Rechtsgrundlage dafür findet sich in § 1 Abs. 1 und 2 IHKG, wonach die IHKs für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken haben und Einrichtungen, die diesem Zweck dienen, begründen, unterhalten und unterstützen können. Schlichtung von kaufmännischen Streitigkeiten - auch im Verhältnis zum Verbraucher - ist Förderung der gewerblichen Wirtschaft; ebenso die Schiedsgerichtsbarkeit. Daneben gibt es aber noch eine ganze Reihe von Spezialregelungen, die den IHKs Aufgaben in diesem Feld übertragen. Ich nenne nur § 27 a UWG, § 111 Abs. 2 ArbGG und § 15 a EGZPO in Verbindung mit den Landesausführungsgesetzen. Die wichtigsten Aktivitäten der Industrie- und Handelskammern im Bereich der Schlichtung und der Schiedsgerichtsbarkeit werde ich kurz darstellen:

- die Einigungsstellen für Wettbewerbsstreitigkeiten
- die Schlichtung bei Verbraucherbeschwerden
- die Schlichtung bei kaufmännischen Streitigkeiten,
- OnlineConfidence,
- das Sachverständigenwesen,
- die Schiedsgerichtsbarkeit,
- dann gibt es noch die Schlichtung bei Streitigkeiten im Rahmen von Ausbildungsverhältnissen, die den IHKs nach § 111 Abs. 2 ArbGG obliegt. Die kann ich mir hier allerdings sparen, den sie gehört nicht zu unseremThema.

a) Einigungsstellen für Wettbewerbsstreitigkeiten

Also zunächst: Die Einigungsstelle für Wettbewerbsstreitigkeiten. Sie haben bei den Industrie- und Handelskammern eine lange Tradition. Bereits um die Jahrhundertwende wurden auf Betreiben der Kaufmannschaft solche Stellen eingerichtet. Das war zuerst eine freiwillige Aufgabe der IHKs im Rahmen ihres Auftrags zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft. 1932 wurde dann § 27 a in das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb eingefügt; er institutionalisierte die sogenannten „Einigungsämter“. Seit dem Jahre 1957 gibt es die „Einigungsstellen“ in ihrer aktuellen Form.

Die Einigungsstellen können angerufen werden bei allen bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten aus dem Bereich des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb - und zwar sowohl vom Anspruchsberechtigten als auch vom Anspruchsgegner. Zur Anrufung berechtigt sind die Personen oder Verbände, die auch klagebefugt wären: also in erster Linie Wettbewerber und deren Verbände, aber auch Verbraucherverbände, die nach dem Unterlassungsklagegesetz qualifiziert sind. § 27 a UWG sugerriert, dass die Anrufung auch durch den Letztverbraucher selbst erfolgen kann. Praktisch hat das aber keine Bedeutung, da dem Letztverbraucher nach geltendem UWG in aller Regel die Klagebefugnis fehlt.

Eine weitere Voraussetzung für das Tätigwerden der Einigungsstelle ist grundsätzlich noch, dass die Gegenpartei dem Einigungsverfahren zustimmt. Eine Ausnahme besteht in Bezug auf Wettbewerbshandlungen, die den geschäftlichen Verkehr mit dem Letztverbraucher betreffen. In diesen Fällen kann die Anrufung auch ohne Zustimmung des Gegners erfolgen. Wohlgemerkt: Es kommt nicht darauf an, ob der Anspruch von einem Verbraucher oder Verbraucherverband geltend gemacht wird. Da fast alle relevanten Wettbewerbshandlungen den geschäftlichen Verkehr mit dem Verbraucher betreffen, ist hier die Ausnahme die Regel.

Die Einigungsstellen sind echte Schlichtungsstellen. Das Verfahren kann nur im Falle einer Einigung zwischen den Parteien erfolgreich abgeschlossen werden. Einigen sich die Parteien nicht, stehen ihnen weiterhin alle Möglichkeiten des streitigen Verfahrens bei den Gerichten offen. Einigungsstellen verfügen aber über gewisse prozessuale Zwangsbefugnisse wie die Anordnung des persönlichen Erscheinen der Parteien; sie können bei Missachtung dieser Anordnung Ordnungsgelder festsetzen.

Vorsitzender der Einigungsstelle kann nur ein Volljurist sein. Die Beisitzer sind Gewerbetreibende. Bei Wettbewerbsstreitigkeiten, an denen Letztverbraucher oder Verbraucherverbände beteiligt sind, müssen die Beisitzer paritätisch aus dem Kreis der Gewerbetreibenden und der Verbraucher ernannt werden. Also hier kommt es wieder darauf an, wer Partei in dem Verfahren ist. Dass es sich um eine Streitigkeit handelt, die den geschäftlichen Verkehr mit dem Letztverbraucher betrifft, reicht nicht aus, um die Besetzung des Schlichtungsgremiums mit einem Verbraucherbeisitzer zu begründen.

Die tatsächliche Inanspruchnahme der Einigungsstelle ist je nach IHK unterschiedlich. Sie reicht von weniger als zehn Fällen pro Jahr bis zu mehreren Hundert. Das hängt von der Größe der Kammer wie auch von der Akzeptanz der jeweiligen Einigungsstellen ab. Nach einer DIHK-Umfrage wurden im Jahre 1999 bei allen 82 IHKs zusammen 1786 Einigungsstellenverfahren durchgeführt. Die Verfahrensdauer liegt im Durchschnitt bei etwa 6 Wochen. Das ist leider im Wettbewerbsrecht ein ziemlicher langer Zeitraum, woran sich allerdings angesichts der qualifizierten Besetzung der Einigungsstelle nur schwer etwas ändern lässt. Wenn eine Einigungsstelle viele Verfahren zu verhandeln hat, kann die Verfahrensdauer allerdings deutlich kürzer sein.

Die Einigungsquote ist relativ hoch. 1999 wurde in 949 Fällen eine einvernehmliche Streitbeilegung erreicht. Die Einigungsstellen sind daher ein wesentlicher Beitrag der Industrie- und Handelskammern zur Entlastung der Justiz. Die Chance der Einigung ist allerdings stark von der Art der Streitigkeit abhängig. Sie ist besonders hoch, wenn der Wettbewerbsverstoß aus Unwissenheit oder Nachlässigkeit begangen wurde. Insoweit kommt den Einigungsstellen auch ein wichtige Aufklärungsfunktion zu.

b) Schlichtung bei Verbraucherbeschwerden

Die Industrie- und Handelskammern sind immer schon von Verbrauchern bei etwaigen Beschwerden gegen Verkäufer oder Dienstleister in Anspruch genommen worden. In den siebziger Jahren hat man auch versucht, Schlichtungsstellen für Verbraucherbeschwerden zu institutionalisieren. Das war aber nicht besonders erfolgreich, da die Inanspruchnahme sehr unregelmäßig ist. Auch erwartet der Verbraucher z.B. beim Kauf neuer Ware eine umgehende Regulierung etwaiger Mängelrügen. Ihn interessiert nicht, an irgendeinem festgesetzten Termin in der IHK zu dem Thema zu verhandeln. De facto geht die Schlichtung bei Verbraucherbeschwerden durch die IHK daher heute so vor sich, dass der IHK-Mitarbeiter, der eine Verbraucherbeschwerde entgegen nimmt, zum Telefon greift, und mit dem jeweiligen Verkäufer bzw. Anbieter spricht. Das Problem wird dann auch im Regelfall im Wege der Kulanz aus der Welt geschafft. Die Vermittlung bei Verbraucherbeschwerden ist daher als Service der IHK beibehalten worden. Sie vollzieht sich aber fast ausschließlich ad hoc und nicht in institutionalisierter Form.

Kein Revirement haben die Verbraucherschlichtungsstellen durch den § 15 a EGZPO erhalten, der im Jahre 2000 eingeführt wurde und den Bundesländern gestattet, bei bestimmten Bagatellstreitigkeiten vor Klageerhebung die Durchführung eines Termins vor einer sogenannten Gütestelle zu verlangen. Bislang hat nur etwa die Hälfte der Bundesländer von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. Eine Erwähnung der Kammern findet sich auch nur im bayerischen Schlichtungsgesetz. Daher hat - wie ich mir habe sagen lassen - der § 15 a EGZPO teilweise sogar zu einem völligen Rückzug der IHKs aus der Verbraucherschlichtung geführt. Anfragende werden an die anerkannten Gütestellen oder die Verbraucherberatungsstellen verwiesen. Zur Begründung wird neben der Kompetenzverschiebung auf Grund es § 15 a EGZPO auf mögliche Interessenkonflikte und den zu hohen Aufwand hingewiesen.

Bei den Handwerkskammern sieht das offenbar noch anders aus. Aber dazu werden wir ja noch etwas hören.

c) Schlichtung bei kaufmännischen Streitigkeiten

Die Kammern sind in der Vergangenheit wiederholt als Schlichter bei kaufmännischen Streitigkeiten in Anspruch genommen worden. Ein Beispiel sind etwa Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern einer GmbH oder Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf das Bestehen und die Geltung von Handelsbräuchen. In diesen Fällen konnte etwa der Präsident, ein Mitglied des Präsidiums oder der Justiziar der IHK zum Schlichter berufen werden. Institutionalisierte Schlichtungsstellen gibt es allerdings erst seit wenigen Jahren - wie überhaupt die institutionalisierte Schlichtung in kaufmännischen Streitigkeiten außerhalb der Schiedsgerichtsbarkeit erst in jüngster Zeit durch einige im anglo-amerikanischen Rechtskreis ausgebildete Juristen nach Deutschland getragen wurde. Heute haben praktisch alle großen IHKs wie München, Stuttgart, Berlin, Hamburg, Frankfurt und Köln Schlichtungsordnungen verabschiedet und betreiben Schlichtungsstellen für kaufmännische Streitigkeiten in der Regel zusammen mit dem örtlichen Anwaltsverein. Die Inanspruchnahme dieser Stellen ist allerdings noch relativ bescheiden. Das liegt wahrscheinlich an der Neuheit der Einrichtung. Außerdem sorgen Qualität und Kosten des deutschen Zivilprozesses derzeit noch dafür, dass der Leidensdruck der Prozessparteien deutlich geringer ist als etwa in den USA oder England.

Immerhin sieht doch - wie eine Umfrage des DIHK gezeigt hat - doch eine ganze reihe von IHKs und Unternehmen deutliche Vorteile in der Schlichtung - nämlich vor allem Prozessvermeidung, Schnelligkeit und Flexibilität, geringere Kosten und die Möglichkeit von win-win-Situationen.

d) OnlineConfidence

Ein neues Schlichtungsprodukt der Industrie- und Handelskammern - nämlich OnlineConfidence - steht kurz vor der Markteinführung. Eigentlich sollte es schon lange am Markt sein, aber wie die Dinge so sind: Wenn Organisationen aus vielen Staaten zusammenarbeiten, braucht es doppelt so viel Kraft und Zeit, zum Ergebnis zu kommen als wenn einer das macht. Andererseits macht OnlineConfidence nur richtig Sinn, wenn es grenzüberschreitend betrieben wird.

Die Idee ist folgende: wenn heute jemand aus Spanien im e-Commerce ein Produkt in Deutschland kauft oder umgekehrt, dann mag er Sorge haben hinsichtlich der Qualität und Bonität des Anbieters und besonders darüber, wie er sein Recht durchsetzen kann, wenn das Produkt Mängel aufweist. Hier bietet nur OnlineConfidence ein einfaches Schlichtungsverfahren an, dass online durchgeführt wird. OnlineConfidence gibt es in zwei Stufen und in zwei Stadien.

Die erste Stufe geht bis zu einem bestimmten Betrag - vorgesehen sind 5.000 €. Auf dieser Stufe können die Anbieter versprechen, dass sie ein Schlichtungsergebnis akzeptieren, auch wenn es nicht einvernehmlich sondern durch Schlichterspruch erzielt wurde. Sie bekommen in diesem Fall ein Trustseal, dass sie auf ihrer Website platzieren können. Bei Streitwerten oberhalb des genannten Betrags, oder wenn das Unternehmen nicht am Trustseal interessiert ist, kann ein Ergebnis nur einvernehmlich erzielt werden.

Die zwei Stadien sind wie folgt: Im ersten Stadium wird ausschließlich zwischen den Parteien online verhandelt. Der Vorteil in diesem Stadium ist, dass OnlineConfidence dafür ein automatisiertes und strukturiertes Verfahren zur Verfügung stellt, dass auch - jedenfalls bis zu einem gewissen Niveau - hilft, Sprachbarrieren zu überwinden. Außerdem ist es kostenfrei. Führt das automatisierte Verfahren nicht zu einem Ergebnis, kann der Anspruchsteller die Einschaltung eines Schlichters beantragen. Auch das geschieht alles online, ebenso das Schlichtungsverfahren selbst. Allerdings kann das ganz nicht ohne Kosten abgehen. Wir bemühen uns allerdings, diese gering zu halten.

Derzeit sind an dem Projekt, welches unter TenTelekom von der EU gefördert wurde, die Kammerorganisationen aus Spanien, Italien, Schweden, Belgien und Deutschland - alle unter der Führung unserer europäischen Dachorganisation Eurochambres. Es wurden aber schon die Fühler auch in andere europäische Staaten und darüber hinaus ausgestreckt.

Wir haben das Projekt bereits verschiedentlich der Wirtschaft vorgestellt. Die Resonanz war generell positiv. Allerdings wird erst die Praxis zeigen, ob sich genügend Unternehmen finden, die mitmachen, und ob das Ganze vom Verbraucher angenommen wird.

Die Technik läuft inzwischen. Wir machen gegenwärtig den letzten sprachlichen Schliff. Wenn Sie schon mal testen wollen: „http://oc.meta.cpr.it/oc/user_links“ mit Passwort „private/private“.

d) Sachverständigenwesen

Nun zu einem weiteren Bereich, der für die außergerichtliche Streitbeilegung nicht unbedeutend ist: das Sachverständigenwesen. Die Industrie- und Handelskammern sind per Gesetz für die öffentliche Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen zuständig. Derzeit werden von ihnen ca. 6.500 öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige aus ca. 300 Sachgebieten betreut. Die Einschaltung von Sachverständigen bietet sich insbesondere bei der Erstellung sogenannter Fertigstellungsbescheinigungen im Baubereich nach § 641 a BGB, bei der Festellung von Sachmängeln oder bei der Wertermittlung an Möglich ist auch die Erstellung von Schiedsgutachten, denen nach § 317 BGB sogar eine gewisse Bindungswirkung zukommt.

e) Schiedsgerichtsbarkeit

Zum Abschluss die Schiedsgerichtsbarkeit. Die Industrie- und Handelskammern sind seit jeher in diesem Feld aktiv. Der beim DIHK bestehende Deutsche Ausschuss für Schiedsgerichtswesen (DAS) ging allerdings im Jahre 1992 in der Deutschen Institut für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) auf. An dieser sind die Kammern und der DIHK maßgeblich beteiligt. Verschiedene Kammern verfügen noch über eigene Schiedsgerichte, die jedoch durchweg die Schiedsgerichtsordnung der DIS anwenden. Die DIS wickelt heute etwa 50 bis 70 Verfahren pro Jahr ab und hat sich damit bereits einen Rang auf internationaler Ebene erobert.

Die neue DIS-Schiedsgerichtsordnung enthält in § 32 ebenfalls eine Klausel, wonach das Schiedsgericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine einvernehmliche Beilegung des Streits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein soll. Für Verbraucherstreitigkeiten eignet sich die Schiedsgerichtsbarkeit allerdings überhaupt nicht. So stellt § 1031 Abs. 5 für eine Schiedsvereinbarung, an der ein Verbraucher beteiligt ist, als zusätzliches Formerfordernis auf, dass diese in einer separaten Urkunde von den Parteien eigenhändig unterzeichnet oder notariell beurkundet wird.. Auch liegen die Verbraucherstreitigkeiten regelmäßig in einem Streitwertbereich, in der die Vorteile des Schiedsgerichtsverfahrens noch nicht sichtbar werden.

Ich möchte meinen Beitrag mit der Feststellung schließen, dass die Industrie- und Handelskammern in Deutschland ein breites Spektrum an außergerichtlicher Streitbeilegung anbieten, welches wenigstens zu einem Teil auch von Verbrauchern genutzt werden kann. »