Christian Moritz, Leiter der Clearingstelle Deutschland Euro-Info-Verbraucher e.V., Kehl/Straßburg


« Meine Damen, meine Herren,

Wie die von meiner Kollegin Frau Schmidt vorgestellte e-Commerce-Verbindungsstelle ist auch die Clearingstelle im Auftrag des Bundesjustizministeriums beim Verein Euro-Info-Verbraucher e.V. angesiedelt.

Die Worte „Clearingstelle“ und „Schlichtungsstelle“ werden Ihnen in meinem Vortrag häufig begegnen. Man kann es drehen und wenden wie man will - diese Begriffe stehen und bleiben nun einmal im Zentrum unseres Interesses und damit auch dieses Vortrags.
Für den Begriff „Schlichtungsstelle“ empfehle ich den Dolmetschern die Verwendung des englischen Akronyms „ADR“-body was für „Alternative Dispute Resolution - body“ steht. In meinem Vortrag will ich es bei den deutschen Bezeichnungen bewenden lassen.

Ich will nicht viele allgemeine Worte zum Umfeld der Clearingstelle verlieren, sondern anhand von Erfahrungsberichten die verschiedenen Konstellationen in den Beschwerdeverfahren aufzeigen. In diesem Kontext werde ich gelegentlich den Blick auf die Zuständigkeiten und Verfahren der Schlichtungsstellen lenken.

Auf den Punkt gebracht, funktioniert die Clearingstelle als Schaltstelle zwischen suchenden Verbrauchern, involvierten Unternehmen und Stellen, die Schlichtung anbieten.

Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass bereits die Einschaltung der Clearingstelle in der Eigenschaft als dritte Partei den Weg zu einer außergerichtlichen Beilegung ebnen kann und so die Streitigkeit nicht unbedingt ein formelles Verfahren vor einer Schlichtungsstelle erfordert.
Die Einschaltung der Clearingstelle verläuft wie folgt:
Die Clearingstelle kontaktiert das involvierte Unternehmen unter Angabe des Begehrens des Verbrauchers sowie des dem zugrunde liegenden Sachverhalts. Gleichzeitig wird die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens bei einer bestimmten Schlichtungsstelle vorgeschlagen.
Die hierauf folgende Resonanz fällt ganz unterschiedlich aus.
Es gibt im Wesentlichen drei Fallgruppen:
1. Unseriöse Geschäftemacher gerade im Bereich des Online-Handels hüllen sich in Schweigen.
2. Andere wenige Unternehmen beharren zwar auf ihrem Standpunkt, erklären sich jedoch fairerweise mit der Durchführung eines Schlichtungsverfahrens zur neutralen Klärung des Streits einverstanden.
3. In einer anderen häufig vorkommenden Variante antworten Unternehmen mit einem konkreten akzeptablem Angebot, sei es in Form einer Entschädigung, Preisminderung oder Nachbesserung - ganz ohne Rückgriff auf das vorgeschlagene Schlichtungsverfahren.
Hierbei spielt die Sorge des Unternehmens um sein Ansehen eine erhebliche Rolle.
Denn mit Beteiligung der Clearingstelle und mit dem sodann im Raum stehenden konkreten Angebot zur Durchführung eines Schlichtungsverfahrens, verlässt der Rechtsstreit die Sphäre des bislang rein privaten Zwei-Parteien-Verhältnisses und entwickelt sich zunehmend zum Gegenstand der öffentlichen Wahrnehmung.

Doch zurück zu den Aufgaben der Clearingstelle im Rahmen der Abwicklung einer Verbraucherbeschwerde. Ganz grob skizziert, fördert die Clearingstelle die außergerichtliche Streitbeilegung durch fremdsprachlicher Hilfestellung, Rechtsberatung (im Rahmen des Rechtsberatungsgesetzes), Kontaktaufnahme zum beteiligten Unternehmen sowie Vermittlung von Schlichtungsverfahren mit begleitender Betreuung.
Bedienen wir uns zur weiteren Veranschaulichung der Arbeitsweise der Clearingstelle eines Beispiels:
Ein Verbraucher aus Deutschland hat einen anfänglich unerkannten Defekt an seinem in Belgien erworbenen Automobil gegenüber dem belgischen Händler ohne Erfolg reklamiert.
Nachdem der Verbraucher inzwischen in seine bayrische Heimat zurückgekehrt ist und von der Anstrengung eines Gerichtsverfahrens im Ausland Abstand genommen hat, wendet er sich ratsuchend an die Clearingstelle in Kehl am Rhein.
Dort nimmt einer unserer Juristen den Sachverhalt auf, überprüft die Beschwerde auf ihre Schlüssigkeit, übersetzt sie ins Englische bzw. in dem belgischen Fall ins Französische und übergibt sie schließlich mit Vollmacht des Verbrauchers an seine Kollegen in Brüssel zur weiteren Veranlassung der außergerichtlichen Streitbeilegung.
In unserem praktischen Fall sind die Mitarbeiter der belgischen Clearingstelle am besten mit Sprache, Rechtsordnung und geschäftlichen Gepflogenheiten in ihrem Land vertraut.
Darüber hinaus kann die Clearingstelle vor Ort meist besser die einzelnen Zuständigkeiten und Verfahrensvoraussetzungen ihrer einheimischen Schlichtungsstellen beurteilen, als dass dies eine ausländische Clearingstelle aus der Ferne tun könnte.
Im übrigen erklärt es sich von selbst, das der belgische Händler im Zweifel seinen inländischen Schlichtungsstellen mehr Vertrauen schenkt als einer für ihn unbekannten, weit entfernten Stelle im Ausland.
Die Interessen und Ansprüche des Verbrauchers werden durch die Betreuung der Clearingstelle und durch die geforderte Unabhängigkeit der aus seiner Sicht ausländischen Schlichtungsstelle zu schützen versucht.
Mit Blick auf die Europäische Verordnung zur internationalen Zuständigkeit (EUGVO) kann es also sein, dass im hypothetischen Fall der Erhebung einer Klage ein inländisches Gericht zuständig wäre, jedoch das Schlichtungsverfahren im Ausland stattfindet.
Mit dieser Unstimmigkeit müssen und können wir leben.
Andererseits darf dies nicht dazu führen, dass der Verbraucher seiner nach dem Internationalen Privatrecht geltenden Rechte beraubt wird.
Der Schlichter muss sich daher der Problematik des anwendbaren Rechts bei Streitigkeiten mit Auslandsbezug bewusst sein.
Die juristische Qualifikation der Schlichter erweist sich daher insbesondere bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten als notwendig.
Schlichtung durch Laien, wie dies beispielsweise durch die Schiedsleute in Nordrhein-Westfalen geschieht, erscheint uns daher für das EEJ-Net als unpassend.
Doch zurück zu unserem eingangs geschildertem Fall, der sich in Belgien abspielt.
Unsere Partner-Clearingstelle in Brüssel unterrichtet uns über ihre einzelnen Schritte zur außergerichtlichen Streitbeilegung und über deren Resultate zwecks Weitergabe der Information an den Verbraucher.
Auf diese Art und Weise der Aufgabenteilung zwischen den zwei beteiligten Clearingstellen wird dafür gesorgt, dass der Verbraucher stets in seiner eigenen Sprache über den meist sachlich und rechtlich komplizierten Sachverhalt kommunizieren kann.
Wenn ein ausländischer Verbraucher sich in einem Rechtsstreit mit einem deutschen Unternehmer befindet, dann schlüpft die Clearingstelle Deutschland in die Rolle, die im vorangegangenen Fall der belgischen Clearingstelle zuteil wurde.
Daher besitzt die Clearingstelle ein elementares Interesse an einer reibungslosen Zusammenarbeit mit den deutschen Schlichtungsstellen. Jetzt kennen Sie den wahren Grund des heutigen Seminars und ich freue mich, das Sie das Angebot, das EEJ-Net (und Straßburg) näher kennen zu lernen, angenommen haben.
Von guter Zusammenarbeit profitieren auch die Schlichtungsstellen, denn die Clearingstelle sorgt für die Vorbereitung der regelmäßig diffizilen grenzüberschreitenden Beschwerden, indem sie den vom Verbraucher vorgetragenen Sachverhalt nach Wesentlichem und Unwesentlichem sondiert, ihn ins Deutsche übersetzt und in die Form eines ordnungsgemäßen Antrags bringt sowie das Verfahren und das Schlichtungsergebnis dem Verbraucher in seiner Sprache vermittelt.

Der Clearingstelle Deutschland steht im europäischen Vergleich eine verhältnismäßig hohe Anzahl von über 200 Schlichtungsstellen im Rahmen des deutschen EEJ-Nets zur Verfügung.
Diese hohe Zahl liegt in der Systematik des bisherigen deutschen Schlichtungssystems begründet.
Deutsche Schlichtungsstellen haben sich im Laufe der Zeit in den einzelnen Branchen durch die jeweiligen Organisationen beispielsweise im Handwerk, Handel, Bau und Ärzteschaft gebildet, sodass sich die Zuständigkeit für Beschwerden nach Wirtschaftssektoren richtet.
Zu diesen sektoralen Zuständigkeitsgrenzen treten zudem Einschränkungen im personalen Anwendungsbereich hinzu.
Das bedeutet, dass nur solche Beschwerden behandelt werden, die sich gegen Mitglieder der betreffenden Branchenorganisation richten.
Leider hatten wir in der Vergangenheit viele Fälle in denen das Unternehmen nicht organisiert war, sodass die in der betreffenden Branche tätige Schlichtungsstelle sich für nicht zuständig erklären musste.
Allein die bei einem Viertel der Industrie- und Handelskammern (IHK) eingerichteten Schlichtungsstellen für Verbrauchersachen schlichten unabhängig von der betroffenen Branche und bei allen Gewerbetreibenden.
Wir würden es daher begrüßen, wenn in der Zukunft mehr Stellen dieser Art bei den Kammern eingerichtet werden.
Der nationale Gesetzgeber hat die Kammern beauftragt, für faires kaufmännisches Verhalten seiner Mitglieder zu sorgen.
Die bei einigen Kammern eingerichteten Schlichtungsstellen für Verbrauchersachen eignen sich aus unserer Sicht hervorragend zur Erfüllung dieses gesetzlichen Auftrags.

Anknüpfend an die oben begonnene Beschreibung der einzelnen Zuständigkeiten, bleibt noch der Hinweis schuldig auf die mehrheitlich dezentrale Struktur der Branchenorganisationen.
Dieser Umstand bedingt, dass deutsche Schlichtungsstellen oft nur für bestimmte Kommunen verantwortlich sind.
Einzig in den Bereichen der Versicherungsgesellschaften und Finanzinstitute finden sich zentral organisierte, das heißt für ganz Deutschland zuständige Schlichtungsstellen.
Im Gesamtergebnis führt dies zu einer zu einer sowohl sektoralen als auch territorialen Zersplitterung der Zuständigkeiten.

Natürlich bietet die verästelte und differenzierte Struktur der Zuständigkeiten auch Vorteile in Form von Sachverstand und räumlicher Nähe zum beteiligten Unternehmen.
Infolgedessen kann zum einen der vorhandene Sachverstand kostspielige externe Gutachten ersetzen und zum anderen kann die Schlichtungsstelle vor Ort unmittelbar ihren Einfluss auf das Unternehmen ausüben.

Im ganzen ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass die geschilderte breite Streuung der Schlichtungsstellen nach Ort und Branche eine gewisse Unübersichtlichkeit nach sich zieht.
Diesbezüglich kommt erschwerend hinzu, dass die Terminologie der Schlichtungsstellen und die ihrer Verfahrenstechniken nicht einheitlich gehandhabt werden.
Umso notwendiger ist es, dem orientierungssuchenden Verbraucher durch eine zentrale Stelle zu beraten, so dass er sich im Dickicht der vielen einzelnen Schlichtungsstellen zurecht finden kann.

Es macht Sinn diese Aufgabe der Clearingstelle zu übertragen, da sie aufgrund ihrer praktischen Tätigkeit einen fortlaufenden Überblick über die existierenden Schlichtungsstellen, deren Zuständigkeiten, Voraussetzungen und Abläufe von Verfahren hat.
Die Clearingstelle bedarf zusätzlich der regelmäßigen Fütterung mit Informationen durch die Schlichtungsstellen. So können inzwischen wieder aufgegebene oder neu geschaffene Stellen, geänderte Verfahrensvorschriften, neues Personal mitgeteilt werden.

Erlauben Sie mir noch einen kurz Blick auf die Empfehlung der Kommission aus dem Jahre 1998 durch die Brille der Clearingstelle.
Nach dieser Empfehlung sind die Schlichtungsstellen an sieben Verfahrensgrundsätzen zu messen:
In der Kürze der Zeit möchte ich nur die das Gebot der Transparenz und der Effizienz ansprechen.
Sicherlich werden die nachfolgenden Redner noch das ein oder andere Gebot, insbesondere die Unabhängigkeit, thematisieren.
Nun aber ein Wort zur Transparenz.
Während unserer Arbeit ist uns die zurückhaltende Veröffentlichung von Entscheidungen der Schlichtungsstellen aufgefallen.
Wir plädieren für eine offensivere Handhabung ggf. in Form von anonymen Berichten.
Dies trägt zu mehr Transparenz für den Verbraucher sowie für mehr Aufmerksamkeit der Medien bei.
Nun ein Wort zur gebotenen Effizienz der Verfahren, welches mit dem ersten Kontaktversuch des Verbrauchers beginnt. Effiziente Kontaktaufnahme gebietet heutzutage - wie dies bei einigen Stellen bereits der Fall ist - eine klare Präsenz der einzelnen Schlichtungsstellen im Internet.
Die Verfahrensordnung sowie ein Antragsformblatt sollten zum Herunterladen bereitgestellt werden.
Die Clearingstelle hat bereits erste Kontakte zu Schlichtungsstellen aufgenommen mit dem Ziel der Übersetzung der jeweiligen Verfahrensordnungen und Antragsformblätter.
Mehr dazu kann uns sicherlich später Herr Tewes von der Kfz-Schlichtungsstelle in Freiburg berichten.

Schlichtungsstellen in einigen anderen Staaten wie in den Niederlanden gehen mit Übersetzungen ihrer Verfahrensordnungen ins Deutsche als vorbildliches Beispiel voran.
Es kann nicht oft genug betont werden, dass für den durchschnittlichen Verbraucher die Lösung der Fremdsprachenproblematik eine entscheidende Rolle spielt bei der Verfolgung seiner Rechte außerhalb seiner Sprachgrenzen.

Schließlich ist speziell bei der Frage nach der Eignung von Schlichtungsstellen für das europäische Netzwerk, die Möglichkeit der Durchführung von rein schriftlichen Verfahren von entscheidender Bedeutung.
Bei Bagatellestreitigkeiten ist eine Anreise aus dem Ausland für eine mündliche Verhandlung oft unwirtschaftlich und damit ineffizient.

Noch ein letzter Punkt zur Steigerung der Effizienz mit dem ich den Vortrag abschließen möchte.
Die Entscheidungen der Schlichtungsstellen sind in der Regel nicht unmittelbar zwangsvollstreckbar.
Eine Ausnahme gilt allerdings für Vergleiche von Schlichtungsstellen, die von den Justizverwaltungen der Bundesländer anerkannt wurden.
Neben diesem Vorteil der effizienten Vollstreckbarkeit, ist noch ein weiterer Vorteil hinsichtlich der Verjährung herauszustellen:
Die vor solchen Schlichtungsstellen geschlossenen Vergleiche verjähren erst nach 30 Jahren.
Die Verleihung einer solchen Anerkennung erfolgt auf Antrag durch die Justizverwaltung und wäre ein Gewinn für alle Beteiligten.

Am Schluss noch eine lapidare aber wichtige Feststellung, die in diesem Kreise Erwähnung verdient:
In einigen Bereichen der Wirtschaft fehlen Schlichtungsstellen.
Lücken bestehen insbesondere bei Transportdienstleistungen und im Einzelhandel.
Gerade diese Bereiche spielen aber für aus- und inländische Verbraucher eine bedeutende Rolle.
Es ist wünschenswert, dass die betroffenen Wirtschaftsverbände entsprechende Schlichtungsstellen errichten.
Außerdem könnte die Bereitstellung einer allgemeinen Schlichtungsstelle mit subsidiärer Zuständigkeit notfalls fortbestehende Lücken schließen und somit eine Auffangfunktion wahrnehmen.

Die weitere intensive Auseinandersetzung mit den rechtlichen Grundlagen der Schlichtungsstellen überlasse ich den hierzu besonders qualifizierten Rednern der Schlichtungsstellen, der Justizministerien sowie des Max-Planck-Instituts.

Mit schließe hier den Vortrag und bedanke mich für Ihr Interesse.
Für eventuelle Fragen stehe ich Ihnen, wie im übrigen alle Redner, in den Pausen, im Rahmen des Diskussionsforums zur Verfügung und heute Abend in der Brasserie Kirn zur Verfügung.»