Dr. Jens M. Scherpe, Wissenschaftlicher Referent beim Max Planck Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg

Eine Rahmengesetzgebung für die außergerichtliche Streitbeilegung


« Die außergerichtliche Beilegung von Konflikten ist in den letzten Jahren (wieder einmal) in den Blickpunkt gerückt.
Zum einen auf europäischer Ebene durch zwei Empfehlungen der Kommission sowie die Gründung von Netzwerken zur außergerichtlichen Streitbeilegung wie dem EEJ-Net und dem FIN-Net.
Zum anderen auch in Deutschland, allerdings doch sehr zaghaft. Es ist leider festzustellen, dass Deutschland (auch) im Bereich der außergerichtlichen Streitbeilegung in Verbrauchersachen europaweit das Schlusslicht bildet. Es soll Aufgabe dieses Vortrages sein, Vorschläge zur Änderung dieses beklagenswerten Zustandes zu machen.

I. Ausgangslage in Deutschland - Bestandsaufnahme

1. Bundesebene

Auf Bundesebene gibt es im Grunde keine Regelungen für die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, soweit das eigentliche Streitbeilegungsverfahren betroffen ist.

a) Zunächst enthält die ZPO in den §§ 1025 ff. einige wenige Regelungen für die Schiedsgerichtsbarkeit, die aber für Verbraucherstreitigkeiten kaum Anwendung finden bzw. dafür ungeeignet sind. Bemerkenswert ist aber immerhin, dass hier einige wenige Parameter für das schiedsgerichtliche Verfahren vorgegeben werden, so insbesondere hinsichtlich der Neutralität des Schiedsrichters und der Chancengleichheit der Parteien im Verfahren. Aber, wie gesagt, für Verbraucherstreitigkeiten ist hiermit noch nicht viel gewonnen.

b) Daneben bestehen noch einige Verweisungen auf außergerichtliche Streitbeilegung in Spezialgesetzen, deren Inhalt sich aber nahezu ganz auf diese Verweisung beschränkt.

c) Seit dem 1.1.2000 schiebt der Bund bis auf weiteres mit § 15a EGZPO die Verantwortung für die außergerichtliche Streitbeilegung für Streitigkeiten bis € 750,- auf die Länder ab. Hier wurde den Bundesländern - im Übrigen ohne relevante inhaltliche Vorgaben- die Möglichkeit eröffnet, streitende Parteien zum Durchlaufen eines außergerichtlichen Verfahrens zu verpflichten bevor sie im Anschluss ein Gerichtsverfahren betreiben können. Die meisten Länder haben hiervon Gebrauch gemacht, und zwar in unterschiedlichster Weise.

2. Länder

Die Kritik an § 15a EGZPO und den im Anschluss erlassenen Ländergesetzen braucht an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden. Entscheidend für diesen Vortrag ist vielmehr, dass auch die Ländergesetze nach meinem Kenntnisstand keine relevanten Vorgaben für die Ausgestaltung der außergerichtliche Streitbeilegung machen.

An dieser Stelle ist auch die Frage zu stellen, ob für eine umfassendere Gesetzgebung, die auf die außergerichtlichen Verfahren Einfluss nimmt, auf Länderebene Sinn macht. Denn große Branchenverbände wie Banken und Versicherungen werden im Zweifel bundesweit operierende Verfahren einrichten bzw. haben dies schon getan. Eine ausgefeilte und detaillierte Ländergesetzgebung würde hier Probleme bereiten, wenn die verschiedenen Voraussetzungen in den Ländern deutlich voneinander abweichen. Mir scheint, dass hier nur eine Gesetzgebung auf Bundesebene in Betracht kommt.

3. Zwischenergebnis
Wer auch immer in Deutschland außergerichtliche Streitbeilegung betreiben möchte, kann dies tun. Und zwar in der Weise wie es ihm beliebt. Vorgaben des Gesetzgebers gibt es kaum, die Ausgestaltung des Verfahrens ist und bleibt ins Belieben des Betreibers gestellt.

Das Resultat ist unweigerlich eine gewisse - nicht notwendigerweise, aber oft - berechtigte Skepsis gegenüber solchen Verfahren, ein Vertrauensverlust.

Festzustellen ist aber zumindest, dass die außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland bestenfalls kümmerlich ausgeprägt ist, obwohl der Bedarf hierfür sich nicht von dem in anderen Ländern Europas unterscheiden dürfte.

Dennoch soll nicht verschwiegen werden, dass sich in den letzten Jahren einiges getan hat, sich Einrichtungen wie der Bankenombudsmann und der Versicherungsombudsmann und viele andere gebildet haben, freilich immer aus privater Initiative. Der Gesetzgeber hat hierzu jedenfalls wenig Anreize gesetzt. Eine Vielzahl privater Einrichtungen bedeutet aber zugleich Unübersichtlichkeit und Zersplitterung der außergerichtlichen Streitbeilegung.

II. Dänemark

Ganz anders die Lage in Dänemark, die ich angesichts des vorangegangenen Referats von Frau Maxner nur sehr kurz ansprechen will.

Dänemark hat einen gesetzlichen Rahmen für die außergerichtliche Streitbeilegung. Der zentrale staatliche Verbraucherbeschwerdeausschuss kann überdies private Einrichtungen anerkennen. Voraussetzung ist die Einhaltung gewisser Bedingungen, hierunter insbesondere
• die institutionelle Absicherung der Neutralität der Streitbeilegung,
• die Chancengleichheit der Parteien und
• die Veröffentlichungspflicht hinsichtlich der getroffenen Entscheidungen
• sowie Kontrollbefugnisse des Staates.

Die staatlich ausgesprochene Anerkennung dieser Verfahren führt dazu, dass der Verbraucher weiß, dass er sich bei dem anerkannten Verfahren auf gewisse Grundparameter verlassen kann und dass der Staat eine gewisse Kontrolle über diese Verfahren ausübt, denn die Anerkennung kann ja auch wieder entzogen werden.

Durch den staatlichen Anerkennungsakt ist dann auch die Anknüpfung anderer staatlicher Maßnahmen möglich, so insbesondere
• Aussetzung eines gerichtlichen Verfahrens, wenn nachträglich außergerichtliche Streitbeilegung gewünscht; der Richter ist sogar verpflichtet, auf diese Möglichkeit hinzuweisen.
• Im Falle einer obsiegenden Entscheidung, die der Unternehmer dennoch nicht befolgt, erhält der Verbraucher unabhängig von seiner finanziellen Situation Prozesskostenhilfe zur gerichtlichen Durchsetzung seiner Ansprüche. (Das Kostenrisiko für den Staat scheint hier übrigens gering: Die Entscheidungen der privaten Einrichtungen werden von den Gerichten nahezu immer bestätigt). Durch die Prozesskostenhilfe wird aber ein erheblicher Anreiz zur Inanspruchnahme der außergerichtlichen Verfahren gesetzt.

Ergebnis:
In Dänemark funktioniert die außergerichtliche Streitbeilegung sehr gut, was sicherlich nicht nur, aber auch auf die rechtlichen Rahmenbedingungen zurückzuführen ist.
Es werden kaum noch Verbrauchersachen vor den Gerichten verhandelt, alle Beteiligten - einschließlich des Staates - sparen Zeit und vor allem Geld.

Aus Sicht des Rechtswissenschaftlers bestehen hier natürlich Ängste: Womit soll ich mich beschäftigen, wenn es keine Urteile mehr gibt? Oder etwas ernster formuliert: Wie soll sich das Recht fortentwickeln, wie soll die Einheitlichkeit der Rechtspflege gewährleistet werden?

Doch diese Bedenken lassen sich zerstreuen, denn die umfangreiche Veröffentlichungspraxis, zu der die Einrichtungen verpflichtet sind, führt eher zu einem Mehr als einem Weniger an veröffentlichten Entscheidungen. Diese Entscheidungen der privaten Einrichtungen werden in der Rechtsliteratur auch eingehend untersucht und gewürdigt; in den einschlägigen Lehrbüchern zum Versicherungsvertragsrecht finden sich z.B. mehr Hinweise auf private denn auf gerichtliche Entscheidungen. Auch Gerichte greifen bei ihren Entscheidungen in anderen Fällen auf die privaten Entscheidungen und deren Begründung zurück.

III. Notwendigkeit einer Rahmengesetzgebung für die außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland

Eine funktionierende außergerichtliche Streitbeilegung ist gerade in Verbrauchersachen nicht nur sinnvoll, sondern im Grunde sogar notwendig. Wie also ist sie zu realisieren?

Außergerichtlichkeit bedeutet grundsätzlich erst einmal Nichtstaatlichkeit, also außergerichtliche Streitbeilegung die Privatisierung der Streitbeilegung.

Aber: Wenn der Staat die ihm zugewiesene Aufgabe der Rechtsprechung bzw. Streitbeilegung auf private Einrichtungen verlagert bzw. eine solche Verlagerung fördert, so ist er auch verpflichtet, hierfür Rahmenbedingungen zu schaffen.
Und zwar Rahmenbedingungen, die die Qualität der Streitbeilegung sichern, denn die Möglichkeit jedes einzelnen „sein gutes Recht“ zu erlangen darf nicht durch die Verlagerung ins Private geschmälert werden!

Hoffmann-Riem sagt dazu sehr prägnant: Der Staat stehe in der Gewährleistungsverantwortung (aber nicht in der Erfüllungsverantwortung).

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Der jetzige Zustand ist jedenfalls zum Gedeihen einer Kultur der außergerichtlichen Streitbeilegung wenig geeignet. Jeder Betreiber einer Einrichtung zur außergerichtlichen Streitbeilegung - nehmen wir einen Branchenverband - wird eben diese Einrichtung nur zur Erfüllung seiner eigenen Ziele verfolgen, ebenso wie er Verträge nur zu seinem eigenen Vorteil wird abschließen wollen. Rein altruistische Wirtschaftsteilnehmer sind wohl eher Einzelphänomene.

Hiermit ist übrigens nicht notwendig gesagt, dass die Ziele eines Branchenverbandes bei der Streitbeilegung denen der Verbraucher widersprechen. Meines Erachtens werden sie sich sogar ganz überwiegend entsprechen: Denn ein Streitbeilegungssystem, das einseitig eine Partei bevorteilt, ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

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Dennoch meine ich, dass der Gesetzgeber eine Rahmengesetzgebung mit einem Anerkennungsverfahren schaffen sollte. Hierdurch würden auch die bereits bestehenden Einrichtungen gestärkt, da auch sie von dem durch das staatliche Handeln gewonnenen Vertrauen profitieren würden.

Auch darf eine solche Rahmengesetzgebung nicht zu eng gesteckt sein, damit auch Verfahren für alle relevanten Bereiche umfasst sind; Versicherungen sind nicht Pauschalreisen, Kfz-Reparaturen sind keine Reinigungsschäden.

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Eine Rahmengesetzgebung sollte u.a. folgende wichtige Punkte umfassen:
1. Neutralität der Streitbeilegung. Sie muss institutionalisiert, d.h. schon in der Struktur angelegt sein. Selbst der neutralste Schlichter wird sich immer erheblichem Misstrauen ausgesetzt sehen, wenn er nur von einer Seite ernannt wird. Nicht einmal bei einem Fußballspiel zweier Schülermannschaften käme jemand auf die Idee, den Schiedsrichter vom Trainer einer der Mannschaften bestimmen zu lassen.
In Betracht kommen hier Lösungen wie in Dänemark, wo Verbraucher- und Wirtschaftsverbände in den Entscheidungsgremien paritätisch vertreten sind oder z.B. ein paritätischer besetzter Fachbeirat, der dann den Einzelschlichter benennt. Die Empfehlung der Kommission von 1998 ist an diesem Punkt meines Erachtens absolut ungenügend. Eine Neutralität lässt sich in keiner Weise dadurch garantieren, dass der Schlichter in den letzten drei Jahren nicht für einen Verband oder eine Partei tätig gewesen ist. An diesem Punkt ist die Empfehlung schlichter Unsinn. Die Empfehlung von 2001 hat daher auch für ihren Bereich die Neutralitätserfordernisse anders gefasst.
2. Der Verfahrensablauf muss so gestaltet sein, dass Chancengleichheit gewährt ist.
3. Die Beschwerdeerhebung muss dieselben Wirkungen wie eine Rechtshängigkeit haben.
4. Die Entscheidung darf zumindest für den Verbraucher nicht bindend sein. Der Verbraucher muss stets die Möglichkeit haben, die Gerichte anzurufen.
5. Dem Verbraucher dürfen selbst bei einer Niederlage im Verfahren nicht die Kosten der Gegenseite auferlegt werden.
6. Die Entscheidungen müssen veröffentlicht werden, ggfs. in anonymisierter Form.
7. Es muss seitens der Behörden ein Anerkennungsverfahren eingerichtet werden und eine dauerhafte Kontrolle der Einhaltung der Anerkennungskriterien erfolgen. (dazu gleich mehr)

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Einrichtungen zur außergerichtlichen Streitbeilegung sollten anerkannt werden, wenn sie die Voraussetzungen der Rahmengesetzgebung erfüllen. Im Folgenden sollte die weitere Einhaltung auch kontrolliert werden.

Ähnlich funktioniert auch die Überwachung im Rahmen des EEJ-Net: Nur wer die Voraussetzungen erfüllt, kann hier Teil des Netzwerkes werden. Diese Überwachungsaufgaben sind staatlichen Einrichtungen zu übertragen, denn eine Kontrolle muss objektiv und subjektiv als neutral empfunden werden, was nur durch eine institutionelle Absicherung der Neutralität garantiert werden kann. Insofern kommt nur eine staatlichen Behörde in Betracht (oder etwa ein paritätisch besetztes Gremium).

Eine staatliche Anerkennung bedeutet für die betreffende Einrichtung eine Art Qualitäts- oder Gütesiegel, welches dem Verbraucher zur Orientierung dienen kann und Sicherheit und Vertrauen schafft.
Durch eine staatliche Anerkennung besteht auch die Möglichkeit, weitere Rechtsfolgen anzuknüpfen und so eine bessere Interaktion mit den gerichtlichen Verfahren zu ermöglichen.

Damit komme ich zum Schluss und möchte noch kurz anmerken, dass zumindest das von mir dargestellte System der Anerkennung dem deutschen Gesetzgeber nicht so fremd ist, wie es den Eindruck macht.

So gesteht § 15a EGZPO den Landesjustizverwaltungen zu, Gütestellen anzuerkennen. Allerdings ohne jede weitere Vorgabe oder gar Anerkennungskriterien.

Aber auch auf Bundesebene ist eine derartige Anerkennung schon erfolgt:
Im Rahmen der Umsetzung der Überweisungsrichtlinie war Deutschland verpflichtet worden, für grenzüberschreitende Überweisung Mechanismen zur außergerichtlichen Streitbeilegung zur Verfügung zu stellen. Zunächst wurde eilig eine solche Stelle bei der Bundesbank eingerichtet, mittlerweile sind einige private Einrichtungen der Banken mit dieser Aufgabe beliehen worden.

Der von mir dargestellte Mechanismus der Anerkennung und Kontrolle wird also sogar schon praktiziert.
Allerdings ohne jede Rahmengesetzgebung, d.h. ohne feste rechtliche Bezugspunkte. Und für eine solche Rahmengesetzgebung möchte ich abschließend noch einmal ausdrücklich plädieren.

Vielen Dank. »