Stephanie Schmidt, Leiterin der e-Commerce-Verbindungsstelle Deutschland Euro-Info-Verbraucher e.V., Kehl/Straßburg

Online-Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung


« Ich freue mich, als Verantwortliche der eCommerce-Verbindungsstelle Deutschland heute zu Ihnen zu sprechen.

Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen die Struktur und die Aufgaben der eCommerce-Verbindungsstelle kurz vorzustellen:

Die eCommerce-Verbindungsstelle ist die deutsche Anlaufstelle für Verbraucher und Unternehmer im elektronischen Geschäftsverkehr, die juristische oder nichtjuristische Fragen zu Geschäften im Internet haben, Unterstützung benötigen oder einen konkreten Ansprechpartner für ihr Problem suchen.

Seit Anfang Mai 2003 stellen wir auf unserer Homepage www.ecommerce-verbindungsstelle.de ein umfangreiches Informationsangebot zur Verfügung. Sie finden hier Informationen zu Verträgen im Internet, Datenschutz, Werbung im Internet, Impressumspflicht und Möglichkeiten der gerichtlichen und außergerichtlichen Streitbeilegung. Die Homepage wird regelmäßig aktualisiert und ergänzt.

Zusätzlich stehen wir für konkrete Anfragen zur Verfügung, die wir rechtlich überprüfen. Wir informieren die Ratsuchenden allgemein über das nationale Recht im Internet, zeigen praktische Handlungsmöglichkeiten auf und verweisen gegebenenfalls auf spezialisierte Stellen, Beratungs- und Beschwerdeeinrichtungen, oder auf Möglichkeiten einer außergerichtlichen Streitbeilegung.

Für nähere Informationen zu unserer Tätigkeit möchte ich Sie auf unseren Jahresbericht verweisen, von dem Sie einige Exemplare draußen auf dem Informationstisch finden.

Die eCommerce-Verbindungsstelle ist Teil eines europäischen Netzwerkes zum elektronischen Geschäftsverkehr, das sich derzeit noch in der Gründungsphase befindet. Die europäische Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr sieht in jedem Mitgliedstaat die Einrichtung einer solchen Verbindungsstelle vor. Bisher gibt es neben der deutschen Verbindungsstelle eine solche Einrichtung in Belgien, Spanien, Irland, Österreich, Schweden, Finnland, Großbritannien und den Niederlanden.

Die eCommerce-Verbindungsstelle Deutschland wurde zu Beginn dieses Jahres der Trägerstruktur Euro-Info-Verbraucher e.V. angegliedert. Die Finanzierung der Einrichtung erfolgt über Mittel des Bundesministeriums der Justiz, wobei der Verein Euro-Info-Verbraucher e.V. der eCommerce-Verbindungsstelle seine Organisationsstruktur zur Verfügung stellt.

Im ersten Jahr Ihrer Existenz lag der Schwerpunkt der Tätigkeit der eCommerce-Verbindungsstelle auf dem Aufbau der virtuellen Informationsseite. Wir konnten für diese Seite in der Zeit bis Ende November 2003 etwa 7000 Internetzugriffe feststellen.

Der elektronische Geschäftsverkehr bietet den Parteien die Möglichkeit, trotz großer Distanz, Sprachunterschieden und unterschiedlichen Rechtssystemen schnell und relativ formlos Geschäfte abzuschließen.

Genau diese Vorteile des eCommerce führen aber zu Schwierigkeiten, sobald die Geschäfte nicht reibungslos abgewickelt werden können. Die Distanz der Parteien erschwert eine Einigung - so ist es z.B. unmöglich, gemeinsam ein fehlerhaftes Produkt zu begutachten, um sich auf eine Preisreduzierung zu einigen. Die Sprachunterschiede der Parteien, bei der Bestellung kein wirkliches Hindernis, können zu einem ernsten Problem werden, sobald die Rechte und Pflichten des einzelnen aus dem Kauf verhandelt werden müssen. Noch aufwendiger wird es, wenn bestimmt werden muss, welches nationale Recht auf den Kauf anwendbar ist. Diese Frage, die bei konventionellen Verträgen schon oft schwer zu entscheiden ist, wird noch erheblich komplexer, wenn in einem virtuellen Laden eingekauft wurde.

Für die Parteien führt dies oft zu großem Zeitverlust und zu erheblichen Kosten für rechtliche Beratung, Gerichtsverfahren und unter Umständen eine spätere Vollstreckung des erstrittenen Titels.
Die bisherigen Anfragen und Beschwerden der eCommerce-Verbindungsstelle betrafen überwiegend Probleme des Kaufes von Waren im Internet, sei es in einem Internetshop (40 %), sei es bei einer Internetauktion (13%), wie z. B. bei ebay.
In der Mehrzahl handelte es sich um Fälle, bei denen der Käufer bestellt und bezahlt hatte, die Ware ihn aber niemals erreichte. Unsere bisherigen Erfahrungen ergaben, dass nur in einem sehr geringen Anteil der Fälle die Ware auf dem Transportweg verloren ging. Meist konnte oder wollte der Verkäufer keinen Sendebeleg vorweisen.

Da es oft nur um geringe Beträge geht oder die Verkäufer im Ausland ansässig sind, zögern die betroffenen Käufer, gerichtlich gegen den Verkäufer vorzugehen. Versuche, eine außergerichtliche Streitbeilegung zu erreichen, stellen daher für die Betroffenen eine wichtige Alternative dar.

Die außergerichtliche Streitbeilegung ist sowohl bei Online- als auch bei Offline-Geschäften für beide Vertragsparteien von erheblichem Vorteil: Sie ist meist erheblich günstiger und ermöglicht bei einer Einigung zudem, eine bisher fruchtbare Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien auch später fortzuführen. Ein Gerichtsverfahren, bei dem eine der beiden Parteien verurteilt wird, macht eine solche Zusammenarbeit für die Zukunft oft unmöglich und kann für große, bekannte Unternehmen außerdem zu negativer Publicity führen.

Was liegt daher näher, als für eine außergerichtliche Streitbeilegung bezüglich eines Internetgeschäfts dasselbe Medium zu verwenden, wie für den Abschluss des Vertrages? Auf diese Weise stellen die Entfernung und die Sprachunterschiede der Parteien keine Hindernisse mehr für eine außergerichtliche Streitbeilegung dar.

Die sogenannte Online Dispute Resolution, kurz ODR, d.h. die außergerichtliche Streitbeilegung über das Internet, kann auf unterschiedliche Weise stattfinden: So kann das Verfahren im Internet eingeleitet werden, einzelne Verhandlungen aber im Rahmen eines tatsächlichen Treffens der Parteien durchgeführt werden.

Eine andere Möglichkeit ist, das gesamte Schlichtungsverfahren virtuell durchzuführen, ohne dass sich die Parteien jemals begegnen.

Natürlich stehen auch für die ODR-Verfahren die drei grundlegenden Formen der Schlichtung zur Verfügung: die reine Verhandlung, die Mediation und die Schiedsgerichtsbarkeit. Die Anbieter von ODR-Verfahren verwenden für die Schlichtung oft eine Mischung dieser drei Formen und stellen den Vertragsparteien z.B. anfänglich ein Forum für eigene Verhandlungen zur Verfügung. Erst später wird zu den Verfahren der Mediation oder der Schiedsgerichtsbarkeit übergegangen.

In technischer Hinsicht ist es möglich, das gesamte Verfahren ausschließlich über einen gezielt programmierten Computer ablaufen zu lassen, oder frühzeitig einen Mediator oder ein Schiedsgericht einzuschalten.

Ich möchte Ihnen nun einige Beispiele für Schlichtungsverfahren nennen:

Das amerikanische Schlichtungsunternehmen Cybersettle bietet ein Schlichtungsverfahren an, das für Streitigkeiten über bezifferbare Entschädigungen besonders geeignet ist, z. B für Versicherungsfälle. Es handelt sich um ein Blindbietungsverfahren, bei dem die beiden Streitparteien ihre Kompromissangebote für die andere Partei unsichtbar abgeben. Sobald sie sich bis auf einen bestimmten, vereinbarten Bereich (z.B. 30 %) angenähert haben, wird beiden Parteien mitgeteilt, dass eine Einigung erreicht wurde. Der Distanzbetrag wird dann geteilt. Kommt es zu keiner ausreichenden Annäherung erfährt die andere Partei nie von dem Angebot.

So können die Parteien ohne Risiko ehrlich angeben, wo bei ihnen jeweils die "Schmerzgrenze" besteht, ohne befürchten zu müssen, dass dies bei Verhandlungen später zu ihrem Nachteil ausgenutzt wird.

Ein anderes amerikanisches Schlichtungssystem, SmartSettle unterstützt die Streitparteien durch ein Online-Verhandlungsformular, dass die Ziele der Parteien herausarbeiten soll. Argumente der Parteien kann das Programm aufgreifen und sogar eigene Vorschläge für einen Kompromiss machen.

Viele ODR-Anbieter sehen auch zunächst eine technisch unterstützte Verhandlung vor und stellen bei Verhandlungsschwierigkeiten den Parteien einen Mediator zur Verfügung, der ihnen dabei helfen soll, zu einer Einigung zu kommen.

Dieses Verfahren wird z.B. vom amerikanischen Anbieter Square-Trade verwendet, der mit dem amerikanischen Internetauktionshaus ebay zusammenarbeitet und seine Schlichtungsdienste unmittelbar auf der Seite von ebay anbietet.

Die Besonderheit der Arbeitsweise von Square-Trade besteht darin, dass den Parteien kostenfrei eine persönliche Internetseite für die Verhandlungen zur Verfügung gestellt wird und der Austausch in der Verhandlungsphase durch Formulare stark strukturiert wird. Hierdurch ist eine feindselige oder aggressive Kommunikation der Parteien kaum möglich.

Kommt es über diese Verhandlungsphase nicht zu einer Einigung, so wird gegen einen Betrag von 20 $ ein Mediator zur Verfügung gestellt.
Für das Angebot von ebay Deutschland steht leider bisher noch kein derartiger Schlichtungsservice zur Verfügung.

Obwohl die Vereinigten Staaten uns in diesem Bereich noch um einiges voraus sind, gibt es natürlich auch europäische Anbieter von ODR-Verfahren.

Ich kann Ihnen insoweit ein neues ODR-Verfahren vorstellen, das seit einer Woche in Deutschland angeboten wird. Es handelt sich dabei um den deutschen Internetombudsmann, den Sie im Internet unter www.ombudsmann.de finden.

Er wurde nach dem Vorbild des österreichischen Internetombudsmannes geschaffen, der bereits seit Dezember 1999 tätig ist und bisher als Schlichtungseinrichtung auch deutschen Verbrauchern zur Verfügung stand.
Träger des deutschen Ombudsmannes ist die Verbraucherinitiative e.V., wobei das Projekt anteilig und zeitlich befristet von der Europäischen Kommission und dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft finanziert wird. In Zukunft soll der Bestand des Ombudsmannes durch Spenden gesichert werden.

Die Dienste des Ombudsmannes stehen Verbrauchern offen, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben. Es werden Streitigkeiten bearbeitet, die aus Internet-Käufen entstehen, wobei der Verkäufer seinen Sitz in einem Mitgliedsland der EU haben muss. Das Verfahren ist bis auf weiteres kostenlos.

Das Schlichtungsverfahren besteht aus zwei Stufen: In der ersten Stufe, dem Einigungsverfahren, versucht der Ombudsmann, den Sachverhalt zu klären und eine gütliche Einigung zwischen den Parteien herbeizuführen. Kommt es daraufhin zu keiner gütlichen Einigung der Parteien, so bietet der Ombudsmann den Parteien ein Schlichtungsverfahren an, das durch einen Vergleichsvorschlag oder einen Schiedsspruch des Ombudsmann beendet wird. Können sich die Parteien nicht auf ein Schlichtungsverfahren einigen, beendet der Ombudsmann seine Tätigkeit und teilt dies den Parteien mit.

Abschließend möchte ich als Beispiel für eine Schlichtungseinrichtung für Verbraucher das Projekt ECODIR, Electronic Consumer Dispute Resolution, erwähnen. ECODIR basiert auf einer Initiative verschiedener europäischer und amerikanischer Universitäten und wird vom irischen Ministerium für Unternehmen, Handel und Beschäftigung und von der Europäischen Kommission getragen.

Für Verbraucher stellt es seit Oktober 2001 ein Schlichtungsverfahren zur Verfügung, das sich speziell mit Streitigkeiten im Bereich des eCommerce beschäftigt. In diesem ODR-Verfahren werden sowohl nationale als auch internationale Streitfälle behandelt.

Das Schlichtungsverfahren beginnt mit einer 18-tägigen Verhandlungsphase. In dieser Phase tritt ECODIR mit dem Unternehmer in Kontakt, informiert ihn über die vom Verbraucher gemachten Angaben und fordert den Unternehmer auf, mit seinem Vertragspartner in Verhandlung zu treten. Kommt es in dieser Stufe zu keiner Einigung der Parteien, so schließt sich eine 15-tägige Mediationsphase an. Hierfür wird von ECODIR ein unabhängiger Mediator bestimmt, der den Parteien beim Herausarbeiten der streitigen Punkte behilflich ist. Kommen die Parteien über eine Zeit von 15 Tagen zu keiner Einigung, so macht ECODIR den Parteien einen Entscheidungsvorschlag, der auf den Grundsätzen von Treu und Glauben beruht, die Rechte und Pflichten der Parteien und die einzelnen Umstände des Falles berücksichtigt.
Das Schlichtungsverfahren von ECODIR ist kostenlos. Es befand sich bis zum Juni 2003 in der Projektphase und wird fortgeführt. Derzeitig findet eine Evaluierung der bisherigen Aktivitäten statt.

Als eines der ersten Ergebnisse dieser Evaluierung wurde bei ECODIR festgestellt, dass es ein großes Interesse auf Verbraucherseite an ODR-Verfahren gibt. Ein wesentliches Hindernis für den Aufbau eines erfolgreichen Systems der außergerichtlichen Streitbeilegung ist jedoch das fehlende Engagement der Unternehmen in derartigen Verfahren.

Für die Zukunft wird es daher nötig sein, neben der Entwicklung von neuen ODR-Verfahren vor allem das Interesse der Wirtschaft an ODR-Verfahren zu wecken und ihnen zu zeigen, dass ODR-Verfahren sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmen wertvoll und zweckmäßig sind.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. »