Buchbesprechung
von Bianca Schulz (Clearingstelle Deutschland/ Euro-Info-Verbraucher e.V.)


Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen,
ein deutsch-dänischer Rechtsvergleich

Dr. Jens M. Scherpe

Einführung

Die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen ist mehr denn je ein aktuelles Thema der europäischen Verbraucherpolitik. Auch in Deutschland stößt dieser Themenbereich seit dem Start der Pilotphase des europäischen Netzwerks zur außergerichtlichen Streitbeilegung (EEJ-Net) im Oktober 2001 und der damit verbundenen Gründung der Clearingstelle Deutschland auf ein wachsendes Interesse sowohl bei Verbrauchern und Unternehmen als auch bei Juristen. Leitender Gedanke des EEJ-Nets ist die Verbesserung des Zugangs zu geeigneten Einrichtung der außergerichtlichen Beilegung von grenzüberschreitenden Verbraucherrechtsstreitigkeiten. Durch solche Verfahre soll nicht zuletzt das Vertrauen des Verbrauchers in das Funktionieren des Binnenmarktes gestärkt werden

Im Laufe des Jahres 2002 wurden in allen EU-Mitgliedsstaaten, Island und Norwegen nationale Kontaktstellen (Clearingstellen) geschaffen, die Verbraucher insbesondere bei der Einreichung einer grenzüberschreitenden Verbraucherbeschwerde in das Netzwerk unterstützen und Informationen zu Schlichtungseinrichtungen und -verfahren in Europa geben.

Das Werk von Dr. Scherpe stellt sich sowohl aus dem nationalen als auch aus dem europäischen Blickwinkel als aufschlussreich dar. Es liefert nicht nur einen Überblick über die anwendbaren deutschen, dänischen sowie europäischen Regelungen für eine außergerichtliche Streitbeilegung, sondern stellt auch gleichzeitig einen deutsch-dänischen Rechtsvergleich in diesem Bereich an. Die detaillierten Beschreibungen der unterschiedlichen Stellen, die in Deutschland und Dänemark mit dieser Aufgabe betraut sind, macht den Rechtsvergleich besonders instruktiv.

Auch stellt Dr. Scherpe in seiner Arbeit eine ausführliche Analyse des bestehenden Bedarfs für eine außergerichtliche Streitbeilegung an. Die außergerichtliche Streitbeilegung birgt nicht nur den Vorteil eines relativ schnellen und kostengünstigen Verfahrens. Dr. Scherpe stellt fest, dass Verbraucher vor allem bei niedrigen Streitwerten oder unzureichender Kenntnis hinsichtlich der Rechtslage, der möglichen Kosten und der Durchsetzungsmöglichkeiten ihrer Ansprüche, den Weg zum Anwalt oder zu Gericht scheuen. Aber auch auf Seiten der Gewerbetreibenden besteht Interesse an Schlichtungsverfahren. Grund ist hier der Wille, wenig zeit- und kostenaufwändig den Streit mit den Kunden zu bereinigen, um einen möglichen negativen „Multiply-Effekt“ zu verhindern. Auch sind solche außergerichtlichen Verfahren in der Regel nicht öffentlich, sodass das Risiko eines größeren Imageschadens begrenzt wird. Noch dazu finden Schieds- oder Schlichtungsverfahren in der Regel vor einem Gremium statt, das über die nötige technische und juristische Kompetenz verfügt, um in diesen Streitigkeiten ohne externes (kostenintensives) Expertenwissen entscheiden zu können.
Neben diesen Vorteilen für die unmittelbaren Beteiligten hat die außergerichtliche Streitbeilegung einen allgemeinen positiven Effekt in Gestalt der Entlastung der ordentlichen Gerichte.

Dr. Scherpe stellt in Kapitel 4 anhand des deutsch-dänischen Rechtsvergleichs Überlegungen zur rechtlichen Ausgestaltung der außergerichtlichen Streitbeilegung in Verbrauchersachen an. Als Ergebnis dieses Rechtsvergleichs schlägt Dr. Scherpe in Kapitel 5 Mindeststandards für eine außergerichtliche Streitbeilegung vor. Diese Empfehlungen verdienen besondere Aufmerksamkeit. In der Tat enthalten die bisherigen bundesgesetzlichen Vorschriften kaum Regelungen für den Bereich der außergerichtlichen Streitbeilegung in Verbraucherstreitigkeiten. In der Regel bestimmen die privaten Einrichtungen, die außergerichtliche Streitbeilegung betreiben, ihre Verfahrensordnungen selbst.

Im Rahmen der außergerichtlichen Streitbeilegung in Verbraucherstreitigkeiten gibt Dr. Scherpe der aktiven Streitentscheidung gegenüber dem Verfahren der gütlichen Einigung den Vorrang. In Deutschland wird regelmäßig eine gütliche Einigung angestrebt. In Dänemark hingegen steht weitgehend die Streitentscheidung im Vordergrund. Die bisherigen Erfahrungen der Clearingstelle lassen erkennen, dass Verbraucher generell Verfahren mit einer Streitentscheidung vorziehen. Eine gütliche Einigung erfordert eine direkte Konfrontation und Diskussion der Parteien. Bei weiteren Entfernungen stellen sich mündliche Verhandlungen im übrigen aufgrund des damit verbundenen Reisekosten als unwirtschaftlich dar. Hingegen kann ein Verfahren, das mit einer Streitentscheidung endet, auch in Abwesenheit der betroffenen Parteien schriftlich geführt werden. Ein Dritter trifft dann im Hinblick auf den vorgetragenen Sachverhalt eine Entscheidung. Der Aufwand bei einem solchen Verfahren ist für den Verbraucher gering. Oft hat eine solche Entscheidung auch einen positiven psychologischen Effekt auf den Verbraucher, der seine Rechte durchsetzen will, vor allem wenn die Entscheidung positiv für ihn ausfällt: ein Dritter entscheidet in diesem Streit und die Streitbeilegung beruht nicht etwa auf dem Wohlwollen eines Unternehmens, mit dem oft vorher keine Diskussion mehr möglich war.

Dr. Scherpe setzte sich eingehend mit dem Thema der Unabhängigkeit und Neutralität des Streitschlichtungsorgans sowohl bei Individual- als auch bei Kollegialentscheidungen auseinander. Bei einer außergerichtlichen Streitbeilegung durch interessierte Wirtschafts- bzw. Berufsverbände kann systemimmanent die Unparteilichkeit des Schlichters in Frage gestellt werden. Dr. Scherpe spricht nicht den einzelnen Schlichterpersonen diese Unparteilichkeit ab, sondern fordert eine institutionelle Sicherung der Unparteilichkeit der Schlichtungsorgane, damit schon der bloße abstrakte Verdacht der Parteilichkeit vermieden werde.

Die Europäische Kommission stellt in ihrer Empfehlung 98/257/EG betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind, sieben Mindestkriterien auf: Unabhängigkeit, Transparenz, kontradiktorisches Verfahren, Effizienz, Rechtmäßigkeit, Handlungsfreiheit und Vertretung. Unparteilichkeit und Objektivität der streitentscheidenden Stelle werden von der Europäischen Kommission als „unerlässliche Voraussetzungen zur Gewährleistung des Schutzes und der Rechte der Verbraucher und zur Stärkung des Vertrauens in alternative Systeme zur Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten“ angesehen. Diese Mindestkriterien sollten sowohl bei Entscheidungen durch Einzelpersonen als auch bei Entscheidungen durch ein Gremium erfüllt sein. Um den Verbrauchern ein möglichst hohes Schutzniveau zu garantieren, werden z.B. in Dänemark, Schweden und Norwegen die entsprechenden Gremien paritätisch mit Vertretern der Verbraucher als auch der Wirtschaft zusammengesetzt. In Deutschland ist auf eine solche paritätische Besetzung oft verzichtet worden, mit der Begründung, dass solche Gremien nur schwerfällig arbeiten könnten. Dr. Scherpe greift diesen Punkt auf und verweist auf die sehr erfolgreiche Arbeit dänischer paritätischer Entscheidungsgremien. Ob nun einer Einzelentscheidung oder der Kollegialentscheidung Vorzug zu geben ist, bleibt offen. Beide Verfahren bergen Vor- und Nachteile in sich: Während grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass Einzelentscheidungen etwas schneller getroffen werden und die Kosten geringer sind, haben die Kollegialentscheidung den Vorteil, Entscheidungen über bloße Einzelentscheidungen hinaus zu treffen und ggf. auch zur Rechtsfortbildung beizutragen. Dänemark scheint hier für seinen Beschwerdeausschuss der Versicherungen eine sehr akzeptable Lösung gefunden zu haben, in dem Kollegial- und Einzelentscheidung je nach Sachverhalt gewählt werden. Bei besonders schwierigen und interessanten Fällen aus Themenbereichen, für die noch keine Entscheidung getroffen wurde, tagt der Beschwerdeausschuss. Fälle in denen die Rechtslage klar ist, werden von den einzelnen Mitgliedern dieses Ausschusses entschieden.

Weiter überlegt Dr. Scherpe, ob die ergangene Streitentscheidung bindende Wirkung für die Parteien haben sollte. Diese Frage ist in Deutschland umstritten. Grundsätzlich ist aber im Einklang mit der o.g. Empfehlung der EU-Kommission und dem darin enthaltenen Grundsatz der Handlungsfreiheit der Verbraucher an die außergerichtliche Streitentscheidung nicht gebunden. Auch nach dem Erlass einer Streitentscheidung steht es dem Verbraucher frei, seine Ansprüche gerichtlich durchzusetzen. Für den Gewerbetreibenden ist die Lage etwas anders. So ist z.B. der Schlichtungsspruch des Ombudsmann des Bundesverbands deutscher Banken für die Bank bindend, wenn der Streitwert 5.000 € nicht übersteigt. In Dänemark ist sogar grundsätzliche keine der Parteien an einen Schlichterspruch gebunden. Generell werden die Streitentscheidungen aber von den Gewerbetreibenden befolgt, es sei denn die Entscheidung widerspricht jeglichem Rechtsempfinden des betroffenen Unternehmens. Auch in den anderen Staaten des EEJ-Nets befolgen seriöse Gewerbetreibende in der Regel die Entscheidungen des Schlichters.

Viel wichtiger scheint in diesem Zusammenhang die Frage, ob die sich im Rahmen des Schlichtungsverfahrens ergebenden Erkenntnisse ggf. auch vor Gericht verwertet werden können, sofern der Verbraucher oder der Gewerbetreibende das Anliegen vor Gericht weiterverfolgen will. In Dänemark werden grundsätzlich alle Erkenntnisse auch im Prozess weiterverwendet. In Deutschland kann zwar häufig der Schlichter die Angaben nicht weiterleiten, es steht aber dem betroffenen Verbraucher immer offen, die Unterlagen und Erkenntnisse im Prozess zu verwerten. Diese Weiterverwertung kann in vielen Fällen sinnvoll sein. Dr. Scherpe ist der Ansicht, dass die Weiterverwendung solcher Unterlagen und Erkenntnisse das Verfahren wesentlich beschleunigen und vereinfachen kann, vor allem wenn die beiden Parteien jeweils zu dem Sachverhalt bereits Position bezogen haben und sich ggf. auf bestimmte Einzelpositionen schon geeinigt haben. Auch können, wenn z. B. ein Gutachten bereits von beiden Parteien anerkannt wurde, Kosten und Zeit gespart werden.

Diese richterliche Entscheidung ist natürlich für die Öffentlichkeit zugänglich und kann somit auch der Rechtsfortbildung dienen. Aber auch die außergerichtlichen Streitbeilegungen sollten veröffentlicht werden. Damit wäre auch dem Grundsatz der Transparenz der o.g. Empfehlung Rechnung getragen. In Dänemark werden die Entscheidungen grundsätzlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und dienen der Rechtsfortbildung.

Nach alledem ist dieses Werk von Dr. Scherpe zur Lektüre zu empfehlen. Es ist eine reiche Wissensquelle für Schlichter, Gesetzgeber, Europäische Kommission und Verbraucherschutzorganisationen.

Bianca Schulz
Clearingstelle Deutschland