1. Seminar: "Geldanlagen in Europa" Anlegerschutz und Marktaufsicht in Frankreich, Österreich und Deutschland

Ort: Hochschule für Öffentliche Verwaltung Kehl am Rhein

Datum: 2. bis 3. Dezember 1999

Zusammenfassung der Referate und Diskussionsergebnisse

Innerhalb des einheitlichen Währungsraums nimmt die Zahl der privater Anleger zu, die im Ausland Kapitalanlagen investieren. In den Mitgliedstaaten wächst eine neue Anlage- und Aktienkultur; durch die neue Informationstechnik kann jedermann schnell an fast alle aktuellen Informationen kommen, die für die Anlageentscheidung relevant sind. Vor diesem Hintergrund wurde das Seminar Geldanlagen in Europa als eines von fünf aufeinander aufbauenden Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt. Das Projekt wird von der Europäischen Union gefördert (Europäische Kommission, Generaldirektion Verbraucherpolitik und Gesundheit). Sein Ziel ist die Fortbildung der Vertreter der Verbraucherverbände aus fünf europäischen Mitgliedstaaten. Angestrebt ist ebenso die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch zwischen den nationalen Ansprechpartnern und Interessierten der Wirtschaft.

In der Hochschule für Öffentliche Verwaltung Kehl am Rhein nahmen 40 Verbraucherschützer und Rechtsexperten an dem Seminar teil. Die Teilnehmer waren sich darin einig, dass der Bedarf an Informationsaustausch mit den Ansprechpartnern aus anderen Staaten noch größer war als erwartet. Die erheblichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Finanzkulturen wurden im Laufe des Seminars deutlich. Den Rechtsanwälten und Experten des Kapitalmarkt-rechts waren einige Rechtsnormen und Handelsbräuche der nachbarlichen Finanzmärkte nicht bekannt. Der einheitlichen Finanzmarkt ist europarechtlich bereits verankert; die Tragweite der Rechtsangleichung ist vielen aber noch nicht ersichtlich .

Der Europäische Pass und der Graue Kapitalmarkt

Vor dem Hintergrund des freien Niederlassungs- und Dienstleistungsverkehrs ist die Regelung des sogenannten Europäischen Passes geschaffen worden: Danach kann ein Wertpapier-unternehmen in der gesamten Gemeinschaft tätig sein und grenzüberschreitend Dienstleistungen anbieten, ohne einer neuerlichen behördlichen Erlaubnis zu bedürfen. Das grenzüberschreitende Anlagegeschäft wirft in der Praxis jedoch deutliche Probleme auf. Übereinstimmende Kritik herrschte an den Missständen der unseriösen Kapitalanlageangebote. Für die Bundesrepublik schätzten die anwesenden Vertreter des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter den jährlichen Gesamtschaden auf dem nicht wirksam kontrollierten, sogenannten Grauen Kapitalmarkt auf ca. 60 Milliarden DM pro Jahr. Für den österreichischen Markt wird der Schaden auf ca. 20 bis 30 Milliarden ÖS (ca. 1,5 bis 2 Mia. e) geschätzt. Dabei fließen Gelder auch redlicher Kleinanleger vorbei an den Volkswirtschaften in Depotländer inner- und außerhalb der Europäischen Union.

Die Lage in Deutschland

Auf europäischer Ebene wurde erkannt, dass der Schutz der Anleger eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren der Finanzmärkte ist. Aufgrund von EU-Richtlinien sah sich der deutsche Gesetzgeber daher Anfang 1998 veranlasst, neue Zulassungs- und Verhaltens-pflichten für deutsche Kapitalanlagefirmen gesetzlich zu regeln (Wertpapierhandelsgesetz). So berichteten Vertreter der deutschen Aufsichtsbehörden von dem Versuch, den Grauen Kapitalmarkt bis Ende 2000 "trockenzulegen". Die Praxis hat allerdings gezeigt, dass dieser Anspruch zu hoch gesteckt ist: Es bestehen noch zahlreiche Aufsichtslücken. Nicht nachvollziehbar ist, dass gerade die zweifelhaftesten Finanzfirmen zwischen die Zuständigkeits-bereiche der Ämter in Frankfurt und Berlin fallen.

Gegenstand lebhafter Diskussionen war die Praxis deutscher Firmen aus dem Grenzgebiet in Kehl am Rhein, die per unerbetener Telefonwerbung Termingeschäfte über die Grenze nach Frankreich vermitteln. Die Kunden sollen in die Wertentwicklung zum Beispiel von Kakao an der Warenterminbörsen in Chicago investieren. Die Zielgruppe sind unter anderem geschäftlich unerfahrene Kleinanleger; nur Kunden im grenznahen Elsaß sind nicht erwünscht. Räumliche Nähe und persönliche Beratung wird vermieden.

Für die Aufsichtsämter erweist es sich als schwierig, gegen die unzulässige Vertriebsmethode des "cold calling" vorzugehen: Dabei handelt es sich um die gängige Praxis, Privatkunden unaufgefordert telefonisch Angebote zu unterbreiten. Der Verbraucher, dem abends am Telefon überraschend Börsengewinne versprochen werden, ist in einer benachteiligten Entscheidungs-situation. Erfahrungsgemäß beendet er das Telefongespräch nicht immer sofort. Wegen der Beeinträchtigung der Privatsphäre ist diese Vertriebsmethode wettbewerbswidrig . Es wurde die Kritik geäußert, dass dieser Anlegerschutz in Deutschland leider nur auf dem (Gesetzes)Papier steht. Die weit verbreitete Praxis des Telefonmarketing sieht anders aus .

Trotz des Verdachts auf Anlagebetrug mit deutsch-französischer Ausrichtung sind von deutscher Seite bislang keine staatsanwaltschaftlichen Schritte eingeleitet worden. Anwälte berichteten, dass der Nachweis für Betrug in der Praxis nur äußerst schwer erbracht werden kann.

Die Lage in Frankreich

Der französische Finanzmarkt zeichnet sich durch eine starke Regulierung aus. Anlegerschutz ist Teil des französischen Verbraucherschutzes und daher in das allgemeine Wirtschaftsrecht integriert. Aufgrund einer konsequenten Aufsicht existiert kein unkontrollierter Kapitalmarkt. Die Pariser Behörde Commission des Opérations de Bourse (COB) , mit der EU-weit längsten Aufsichtstradition seit 1967, erteilt Zulassungen nur an wenige, größere Finanzunternehmen unter strengen formellen Voraussetzungen. Ein Straßburger Rechtsanwalt teilte mit, daß nur für sieben ausländische Unternehmen eine behördliche Erlaubnis für die Vermittlung von Warentermingeschäften an ausländischen Börsen erteilt worden ist. So wird der Markt für unseriöse Anbieter von Anbeginn abgeschottet. Direkte (Telefon)Werbung von Finanzprodukten ist traditionell verboten: das entsprechende Gesetz stammt in seiner Urfassung aus dem Jahre 1885.

Französische Anleger, an einen hohen Schutzstandart gewöhnt, kennen das Problem eines Grauen Kapitalmarktes nicht. Sie nehmen irrtümlich an, dass im europäischen Ausland die gewohnten Schutzstandarts genauso bestehen. Erwartungshaltungen werden gewohnheitsbedingt auf die grenzüberschreitenden Geschäften übertragen. Die Telefonverkäufer nutzen das (noch) seriöse Image der Finanzprodukte "made in Germany" aus. Das Straßburger Landgericht Tribunal de Grande Instance hat mehrere Strafverfahren gegen französische Geschäftsführer und Finanzvermittler eingeleitet, die für deutsche Firmen von Deutschland aus grenzüberschreitend agierten. Inzwischen wurden in drei Fällen Freiheitsstrafen (zur Bewährung) verhängt; zwei Strafverfahren sind noch anhängig. Gegenstand der Anklagen ist jeweils die Vermittlung von Derivatgeschäften, ohne dass die dafür nötige Erlaubnis erteilt worden ist.

Die Lage in Österreich

Der österreichische Finanzmarkt ist geprägt von einer jungen Anlegerkultur. Für die Marktaufsicht zuständig ist die Bundes-Wertpapieraufsicht (BAW) in Wien. Das Amt sieht den Anlegerschutz als seine Hauptaufgabe. In der Strafbehörde arbeiten 33 Mitarbeiter, die jährlich über 200 Ermittlungsverfahren durchführen. Unzulässige Telefonwerbung per "cold calling" wird z. B. mit Verwaltungsstrafen bis zu 300.000 ÖS (ca. 20.000 1) sanktioniert. Angesichts der geringen Höhe der Sanktionen gibt die Behörde der präventiven Aufklärung der Anleger erste Priorität. Dies geschieht durch Aktienmessen, Broschüren, Internet sowie der Aufforderung, unerbetene Telefonanrufe unter Angabe des Datums und der Firma des Anrufers dem Aufsichts-amt zu melden. Die Finanzunternehmen sind von Gesetzes wegen verpflichtet, die Vermögensverhältnisse und Anlageerfahrungen der Kunden vor Geschäftsabschluss schriftlich zu protokollieren. Auch die Beachtung dieser Verhaltensregel wird von dem Aufsichtsamt kontrolliert.


Der Anlegerschutz wird jedoch erschwert durch eine nicht konsistente, lückenhafte Gesetz-gebung: Österreich ist derzeit das einzige Land in der Europäischen Gemeinschaft, in dem gesetzlich keine Konzessionierung der Vermittler von Termingeschäften vorgesehen ist. Deutsche Finanzdienstleister lassen sich daher gerne in Österreich nieder. Vertreter der italienischen Verbraucherverbände machten dieselbe Beobachtung auch für den Markt südlich der Alpen.

Aufsichtsämter haben den Markt im Blick - nicht den Bürger

Die Aufsichtsbehörden in Deutschland und Österreich können die Öffentlichkeit nicht vor den Anlageangeboten zweifelhafter Finanzunternehmen warnen. Dies könnte nur durch die Presse oder die Verbraucherverbände geschehen, berichteten die Aufsichtsbeamten unter Verweis auf ihre Verschwiegenheitspflicht. Bereits die Frage eines Anlageinteressierten, ob eine Firma konzessioniert ist und beaufsichtigt werde, wird die Aufsichtsbeamten für eine Antwort in Verlegenheit bringen. Anders verhält es sich jedoch bei den Aufsichtsbehörden in Frankreich, den Niederlanden und Irland: Hier werden die Bürger regelmäßig vor Anlagefirmen gewarnt, die zweifelhafte Kapitalangebote vertrieben haben bzw. gegen die staatsanwaltlich ermittelt wird.

Fazit


Ein einheitliches EU-Anlegerschutzrecht gibt es nicht. Vielmehr bestehen gewichtige Unterschiede zwischen den nationalen Anlegerschutzstandards. Für einen effektiven Rechtsschutz entstehen erhebliche Probleme insbesondere dann, wenn geschädigte Anleger ihre Ansprüche vor einem ausländischen Gericht geltend machen müssen. Die Vollstreckung von Urteilen und Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ist im Ausland mit sehr hohem Zeitaufwand verbunden. Die Durchsetzung der Ansprüche ist häufig sogar ohne jede Erfolgsaussicht, da für die Konten-Pfändung zweifelhafter Geldbeträge gerade der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle spielt. Einstweiliger Rechtsschutz funktioniert nur bei schnellen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen.

Eine internationale Zusammenarbeit der Aufsichtsämter hat zwar begonnen . Die einheitliche europäische Kontrolle des gemeinsamen Finanzmarktes ist jedoch noch in weiter Ferne. Ohne angeglichene Schutzstandarts werden unseriöse Finanzdienstleister aber weiterhin in die Staaten mit der geringsten Kontrolldichte abwandern. Ein europäischer Kapitalmarkt kann nur dann funktionieren, wenn der Anleger objektiv geschützt ist und sich subjektiv geschützt fühlt.

In der Abschlussdiskussion verwandte ein Seminarteilnehmer folgendes Bild: Der deregulierte Binnenmarkt fährt mit der Motorkraft eines Ferrari; die nötigen Bremsen - durch staatliche Kontrolle - scheinen noch nicht stark genug zu sein. Derzeit sind die Voraussetzungen für Finanzdienstleister mit krimineller Energie gut: Offene Grenzen und ein geringes Risiko, straf- bzw. aufsichtsrechtlich verfolgt zu werden.